Langzeitfolgen von Covid 19 - Gesundheitskompass-Wiesbaden
„Langzeitfolgen von Covid 19 sind behandelbar"
Anhaltende Abgeschlagenheit, Konzentrationsschwierigkeiten, Atemnot: Post- und Long-Covid zeigen sich mit vielen Symptomen und fast ein Drittel der Covid-Genesenen sind, so aktuelle Studien, betroffen. Wir sprachen mit Dr. Johannes Schröter und Dr. Moritz Seiffge von der Wiesbadener Median Reha-Klinik Aukammtal über besonders gefährdete Gruppen, Ursachen und Therapien – und über Impfungen als zuverlässigen Schutz auch vor Langzeitfolgen.
Dr. med. Johannes Schröter (Foto: ©Median Kliniken) ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Chirotherapie, Physikalische Therapie, Spezielle Schmerztherapie, Röntgendiagnostik des Skeletts und Notfallmedizin. Er ist Ärztlicher Direktor und Chefarzt Orthopädie des Median Reha-Zentrums Wiesbaden Sonnenberg.
Dr. med Moritz Seiffge (Foto: ©Median Kliniken) ist Facharzt für Innere Medizin und Leitender Oberarzt Abteilung Innere Medizin und Kardiologe des Median Reha-Zentrums Wiesbaden Sonnenberg, zum dem die Rehaklinik Aukammtal gehört.
Beide Interviewpartner gehören dem Medical Board Long Covid der Median Kliniken an. Chefärzte und Chefärztinnen aus den Fachabteilungen Pneumologie, Orthopädie, Neurologie, Innerer Medizin, Kardiologie und Psychosomatik bündeln ihre Erfahrungen, um auf die sich schnell ändernden Herausforderungen in Zusammenhang mit Covid-19 reagieren zu können.
„Bei Long-Covid müssen wir weltweit vernetzt und schnell handeln“
Gesundheitskompass für Wiesbaden: Atemnot, Brustschmerzen, Gedächtnisprobleme, Abgeschlagenheit, depressive Verstimmungen, Kopfschmerzen, die Liste der Symptome ist lang, und sie passen zu zahlreichen Erkrankungen, etwa zu Burnout oder zum Chronischen Erschöpfungssyndrom. Gibt es eindeutige Anzeichen, dass es sich um Long Covid und um nichts anderes handelt?
Dr. Moritz Seiffge: Nein. Ein Hinweis ist natürlich, dass Betroffene eine Covid-Erkrankung hinter sich haben, und sich die Beschwerden nach drei bis sechs Monaten nicht bessern oder sogar schlimmer werden. Doch wir betrachten Long-Covid als Ausschlussdiagnose. Relevante andere Erkrankungen, die vergleichbare Beschwerden verursachen können, sollten also ausgeschlossen werden, bevor man die Beschwerden kausal auf die Covid-Erkrankung zurückführt. Letzten Endes ist das Detektiv-Arbeit. Im Alltag zeigt sich jedoch häufig ein typisches klinisches Bild.
Gesundheitskompass: In welchem Fall spricht man von Long-Covid und wann von Post-Covid?
Dr. Johannes Schröter: Patienten, die stationär behandelt und häufig auch beatmet werden mussten, sind nach der Genesung häufig in einem deutlich geschwächten Allgemeinzustand, leiden längerfristig an Atem- und Lungenbeschwerden und teils auch an gravierenden mentalen und kognitiven Störungen leiden. Diese Einschränkungen nach einem schweren Verlauf werden unter dem Begriff Post-Covid zusammen gefasst. Von Long-Covid sprechen wir nach einem sogenannten prolongierten Verlauf. Das heißt, Covid verläuft wie eine schwere Grippe, die im allgemeinen nicht stationär behandelt werden muss. Die Symptome klingen aber nur sehr langsam ab, häufig über Monate. Verbreitet sind allgemeine schwere Erschöpfung, Schwäche, Kopf- und Muskelschmerzen und seelische Beschwerden, aber auch anhaltende Herzrhythmus- und Gedächtnisstörungen.
Gesundheitskompass: Es gibt also einen Zusammenhang zwischen der Schwere des Verlaufs einer Covid 19-Erkrankung und der Schwere und Art der Post- oder Long-Covid-Symptome.
Dr.M.S.: Ja, doch Langzeitfolgen können nach leichten wie dramatischen Verläufen auftreten. Da gibt es keine Gewissheit.
Dr.J.S.: Als Median im April 2020 mit Reha-Programmen für von Covid-19 Genesene angefangen hat, übrigens als erste Einrichtung in Deutschland, kamen fast nur ältere Post-Covid-Patienten. Im Herbst 2020, bei der zweiten Welle, war eine Mehrheit von ihnen geimpft und geschützt. Dafür hat die Anzahl der Long-Covid-Patienten stetig zugenommen. Inzwischen sehen wir überwiegend sie, darunter viele jüngere, nicht geimpfte Menschen, die nach einem weniger problematischen Verlauf nicht mehr richtig auf die Beine kommen.
Gesundheitskompass: Wie erklären Sie diese Langzeitfolgen?
Dr.J.S.: Studien legen nahe, dass eine Überreaktion des Immunsystems eine Hauptrolle bei Long-Covid spielen könnte. Einfach erklärt, fährt das Immunsystem bei einem leichten Verlauf schwere Geschütze auf. Ist das Virus besiegt, richten sie sich gegen gesunde Regionen des Körpers. Long-Covid wäre demnach eine Autoimmunstörung. Sie tritt bei Frauen und jungen Menschen etwas häufiger auf, wie übrigens auch Long-Covid.
Gesundheitskompass: Demnach spielen auch Alter und Geschlecht eine Rolle beim Risiko, an Long-Covid zu erkranken?
Dr.J.S.: Ja, statistisch gesehen sind die meisten Long-Covid Patienten zwischen 40 und 50 Jahre alt, und mehr Frauen sind betroffen. Aber es kann jede und jeden treffen. Unsere jüngsten Patienten hier in Wiesbaden sind 21, 22 Jahre alt, ohne Vorerkrankungen und mit einem milden Covid-19-Verlauf.
Gesundheitskompass: Können Medikamente oder eine Psychotherapie gegen Long-Covid helfen?
Dr.J.S.: Da Long-Covid sehr vielfältige Symptome hat, ist in der Regel eine Therapie allein nicht ausreichend. In den meisten Fällen ist eine interdisziplinäre Behandlung am wirksamsten, wie Reha-Einrichtungen sie anbieten.
Dr.M.S.: Unsere Reha-Patienten werden individuell von einem Team von Experten behandelt, darunter Lungenfachärzte, Kardiologen, Neurologen, Sportmediziner, Physio- und Psychotherapeuten.
Gesundheitskompass: Chronische Erschöpfung und depressive Verstimmungen zählen zu den häufigsten Long-Covid-Symptomen. Lassen sie sich mit Entspannungsübungen, Sport und Selbstdisziplin, also ohne ärztliche Behandlung in den Griff bekommen?
Dr.J.S.: Nein, es ist kein guter Rat, wie man so schön sagt, sich zusammenzureißen oder selbst herumzudoktern. Es kann sogar gefährlich sein, wenn zum Beispiel ein kardiologisches Problem hinter einer Erschöpfung steckt, das sich durch Sport noch verschlimmern würde.
Dr.M.S.: Wer den Verdacht auf Long-Covid hat, sollte sich unbedingt an den Hausarzt oder behandelnde Facharzt wenden oder an eine Long-Covid Beratungsstelle, wie es sie auch in Wiesbaden gibt (Anm.: Adressen s. unten).
Gesundheitskompass: Falls ein Arzt eine Reha verordnet, werden die Kosten von den Kassen übernommen, richtig?
Dr.J.S.: Ja. Das gilt für Einrichtungen, die anerkannte Programme zum Erreichen der geforderte Behandlungsziele anbieten, nämlich die Wiederherstellung und Sicherung der Teilhabe der Patienten am gesellschaftlichen Leben.
Dr.M.S.: Median hat diese Infrastruktur seit April 2020. Wenige Wochen nach dem Beginn der Pandemie waren wir der erste Reha-Anbieter für Covid-Genesene in Deutschland und haben seither mehr als 3500 Patientinnen und Patienten behandelt.
mymedQA: In der Inneren Medizin im Median Reha Zentrum Sonnenberg Wiesbaden sind aktuell rund 20 Prozent der Patienten zur Covid-Reha. Was erwartet sie?
Dr.M.S.: Je nach Ausprägung, bieten wir stationär vier Schwerpunktbehandlungen an. Eine konzentriert sich auf die Verbesserung der Atmung und der seelischen Verfassung. Eine andere richtet den Fokus auf psychosomatische Beschwerden, ausgelöst durch Angst- und Zwangsstörungen, depressive Verstimmungen und Depressionen, auch in Folge von Trauer. Es gibt außerdem ein Programm für Suchterkrankungen, die während des Lockdown stark zugenommen haben, und wir haben ein Angebot, zugeschnitten auf Menschen, die an Folgen einer Langzeitbeatmung leiden.
Dr.J.S.: Über Erfahrungen mit den Programmen tauschen wir uns regelmäßig mit Kollegen bei Median aus, und es besteht ein Forschungsprojekt mit dem Fatigue Centrum der Charité in Berlin, Experten für das Chronische Erschöpfungssyndrom.
Dr.M.S: Wir veranstalten auch internationale Symposien zu Long- und Post-Covid. Unsere Daten zur Reha nach Covid 19 zählen international zu den umfangreichsten. Median stellt sie, natürlich datenschutzkonform, Forschern und Kollegen in aller Welt zur Verfügung. Es ist wichtig, sich im Kampf gegen Corona über Landesgrenzen hinweg zu vernetzen und zusammen zu arbeiten. Je schneller die Forschung fortschreitet, desto besser können wir Betroffenen helfen.
Gesundheitskompass: Können Sie bitte eine besonders effektive Therapie beschreiben?
Dr.M.S.: Bei der Verbesserung der Lungenfunktion und Kondition erzielen wir sehr gute Erfolge mit unserem simulierten Höhentraining. Patienten sind mit einem Schlauch und einer Atemmaske mit einem Gerät verbunden, das wie eine Waschmaschine aussieht. Es senkt den Sauerstoffgehalt der Atemluft ab. Hierdurch wird die Herz- und Lungenfunktion sowie die Blutproduktion gesteigert. Es ähnelt der Art, wie sich etwa auch Leistungssportler auf Wettkämpfe vorbereiten.
Gesundheitskompass: Wie lange dauert eine Reha, die von den Kassen übernommen wird?
D.J.S.: Bei uns in der Regel 21 Tage, mit der Option zu verlängern.
Gesundheitskompass: Kann man Long-Covid vorbeugen?
Dr.M.S.: Ja, und zwar am effektivsten mit einer vollständigen Impfung beziehungsweise einer Booster-Impfung. Leider hält sich das Gerücht hartnäckig, dass auch Impfstoffe Long-Covid auslösen können. Das ist Unsinn, es gibt keine seriöse Studie und keine ernstzunehmenden Erfahrungsberichte, die darauf hinweisen.
Gesundheitskompass: Wie Long-Covid-gefährdet sind Kinder, die sich bisher nicht impfen lassen können?
Dr.J.S.: Eltern müssen sich keine allzugroßen Sorgen machen. Nach allem, was wir wissen, ist bei kleinen Kindern der Verlauf von Covid 19 mehrheitlich unkompliziert, oft erleben sie die Erkrankung sogar ohne sie zu bemerken. Und auch Long Covid ist eine sehr seltene Ausnahme.
Gesundheitskompass: Demnächst wird die Stiko den mRNA-Impfstoff für Kinder empfehlen. Schließen Sie sich an?
Dr.J.S.: Natürlich! Die Zulassungsverfahren sind zuverlässig und die vorgesehenen mRNA-Impfstoffe sind sicher. Natürlich gibt es seltene Fälle von Unverträglichkeiten oder Vorerkrankungen, bei denen von einer Impfung abzuraten ist. Aber bei den allermeisten Menschen jeder Altersgruppe ist das Risiko, an Covid und den Folgen zu leiden, immens viel größer.
Dr.M.S.: Dem stimme ich zu. Eltern und Erwachsene, die mit dem Impfen zögern, sollten wissen, dass wir unter 20-Jährige in der Reha haben, die monatelang auf einen Rolator angewiesen waren, vormals gesunde, fitte Leute! Ein junger Mann sagte mir einmal, er hätte nie gedacht, dass ihm so etwas passieren könne und er habe fest geglaubt, Covid und Long-Covid seien nur für alte Menschen mit Vorerkrankungen gefährlich.
Gesundheitskompass: Ist Long-Covid heilbar?
Dr.J.S.: Da die Ursachen noch immer nicht vollständig bekannt sind, kann man streng genommen nicht von einer Heilung sprechen. Aber die Beschwerden lassen sich mit individuellen Therapien, bis auf wenige Ausnahmen, so weit verbessern, dass ein Alltagsleben wie zuvor wieder möglich.
Dr.M.S.: Nach einer Reha in einer anerkannten Einrichtung hat die überwiegende Mehrzahl der Long-Covid-Patienten das Ziel erreicht, wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können, alle anderen sind ihm einen entscheidenden Schritt näher gekommen.
Gesundheitskompass: Dr. Schröter, Dr. Seiffge, vielen Dank für das Gespräch!
Adressen & Informationen
Wo Betroffene von Post- und Long-Covid Hilfe finden
Im St. Josefs-Hospital Wiesbaden findet jeden Dienstag eine Post- und Long-Covid Sprechstunde statt. Bitte einen Termin vereinbaren.
Die DKD Helios Klinik Wiesbaden haben für Genesene mit lang anhaltenden Beschwerden eine Post-Covid-Beratung und -Betreuung eingrichtet. Mehr Informationen.
Das Median Reha-Zentrum Wiesbaden Sonnenberg bietet Beratung und ein interdisziplinäres Post-Covid-Reha-Programm. Mehr Informationen
Reha für Covid 19 Erkrankte ist eine Seite, auf der die Median Kliniken ihre Therapie-Angebote vorstellen. Mehr Informationen.
Das Reha-Portal Qualitätskliniken stellt eine Übersicht über Reha-Kliniken im ganzen Bundesgebiet mit Therapien für Post- und Long bereit. Mehr Informationen
Studien, Erfahrungsberichte, Therapiekonzepte und andere Daten über Long-Covid stellen die Median Kliniken Experten und Betroffenen in aller Welt zur Verfügung. Zur Seite.
Selbsthilfegruppen für Betroffene von Long-Covid im Bundesgebiet finden Sie hier.
Die Long-Covid-Initiative des Bundesministeriums für Gesundheit bietet u.a. Antworten auf häufig gestellte Fragen, eine regionale Kliniksuche ein kostenloses Service-Telefon: 030 340 60 66 04.