Parkinson-Dossier

Aufklärung über die zweithäufigste neurologische Erkrankung nach Alzheimer ist dringend erforderlich, um Ängste und Vorurteile abzubauen. Was viele nicht wissen: Die Krankheit verläuft zwar chronisch, die Diagnose bedeutet jedoch nicht, dass ein normaler Alltag innerhalb kurzer Zeit unmöglich werden muss. Die große Mehrzahl der Betroffenen hat, dank Therapien und Strategien, aktive Jahre und Jahrzehnte vor sich. Wir sprachen mit Experten* und Patienten über den Stand der Forschung und über persönliche Erfahrungen, die Mut machen. 

*Aus Gründen der Lesbarkeit verwenden wir in allen Texten des Dossiers das generische maskulinum, meinen jedoch Frauen, Menschen diversen Geschlechts und Männer gleichermaßen.

Prof. med. Sergiu Groppa

© Universitätsmedizin Mainz 
Prof. Med. Sergiu Groppa ist Leiter der Sektion Bewegungsstörungen und Neurostimulation und Geschäftsführender Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mainz.
 

Expertengespräch

„Eine Diagnose ist erst einmal nur der Appell, ein aktives, gesundes Leben zu führen“

Muhammad Ali, der wohl bekannteste Patient, hat mehr als drei Jahrzehnte gekämpft. 2016 hat er verloren, ein zitternder, verwirrter Mann, der kaum mehr die Arme heben und gehen konnte. Viele haben solche Bilder im Kopf, wenn sie an Parkinson denken. „Doch sie zeigen nur das Endstadium oder besonders seltene schwere Fälle“, sagt Professor Dr. med. Sergiu Groppa. „Mehrheitlich können Patienten heute über Jahrzehnte ein nahezu normales Leben führen.“ Wir sprachen mit ihm über Ursachen und Symptome der zweithäufigsten neurologischen Erkrankung – nach Alzheimer –, und über Therapien und Lebensweisen, die Parkinson den Schrecken nehmen.

zum Interview

Gesundheitskompass für Wiesbaden: Muhammad Ali war 41 Jahre alt, als er erste Symptome bemerkte, ein leichtes Zittern, Schwächegefühle in der Muskulatur. Ist das überdurchschnittlich jung?
Prof. Dr. med. Sergiu Groppa: Bei vielen Patienten treten die ersten Symptome sogar früher auf, deutlich vor dem 45sten Geburtstag, bei den meisten allerdings erst nach dem 60sten Lebensjahr.

Gesundheitskompass: Gibt es eindeutige erste Anzeichen für die Krankheit?
Prof. Groppa: Die Symptome sind von Beginn an sehr individuell. Aber verbreitet treten, mit als erstes, diffuse Schmerzen auf, und die Bewegungen werden langsamer. Oft bemerkt man eine Einseitigkeit. Beim Joggen geht zum Beispiel der rechte Arm nicht mehr mit oder das linke Bein fühlt sich seltsam schwach an. Längst nicht bei allen tritt das Zittern auf, das viele mit Morbus Parkinson in Verbindung bringen.

Gesundheitskompass: Was sollte man tun, wenn man einen Verdacht hat?
Prof. Groppa: Man sollte sich an einen Neurologen* wenden, der auf Parkinson spezialisiert ist. Es gibt einige klinische Untersuchungen zur Diagnose. Unterstützend können der sogenannte L-Dopa-Test und bildgebende Verfahren wie ein MRT oder DAT-SCAN eingesetzt werden. Sie machen Gehirnregionen sichtbar, in denen sich Hinweise auf die Krankheit finden können.

Gesundheitskompass: Können Sie den L-Dopa-Test bitte kurz erklären?
Prof. Groppa: Wenn wir hier von Parkinson sprechen, dann von der idiopathischen Form, deren Entstehung unklar ist. Sie macht rund 80 Prozent der Erkrankungen aus. Die restlichen 20 Prozent sind atypische Formen, die medikamentös bedingt sind oder andere Ursachen haben. Was wir jedoch über die idiopathischen Form wissen ist, dass ein Mangel an Dopamin besteht. Dopamin ist ein Botenstoff, über den Nervenzellen kommunizieren. Sein Mangel oder Fehlen bewirkt die Symptome. Beim L-Dopa-Test wird Dopamin in Medikamentenform gegeben. Verbessern sich die Beschwerden deutlich, spricht es für eine klassische Parkinsonerkrankung.

Gesundheitskompass: Die meisten Patienten reagieren auf die Diagnose sicherlich mit großer Angst. Sie scheint nicht unbegründet zu sein, angesichts der Symptome wie Zittern, Lähmungen, Versteifungen, veränderte Wahrnehmungen und Emotionen, Störungen der Verdauung, der Sexualität, Formen der Demenz.
Prof. Groppa: Aber dazu kommt es in den wenigsten Fällen oder erst nach Jahrzehnten. Und je früher die Krankheit festgestellt wird, desto größer ist die Chance, dass sich die Symptome für eine lange Zeit gar nicht erst manifestieren oder mild bleiben. Sie lassen sich heutzutage sehr gut behandeln, oft sogar ohne Medikamente, allein mit individueller Physio- und Psychotherapie und mit einer Umstellung des Lebensstils.

Gesundheitskompass: Wie sollte man mit Parkinson leben?
Prof. Groppa: Gesund und aktiv. Die Ernährung spielt eine wichtige Rolle. Gut ist eine mediterrane Diät mit Olivenöl, Fisch, viel Gemüse. Übergewicht und zu viele Kohlenhydrate sind zu vermeiden. Studien weisen auf einen Zusammenhang hin zwischen Parkinson und Diabetes mellitus, der Zuckerkrankheit. Wichtig ist auch, dass die Betroffenen aktiv bleiben oder werden, nicht nur körperlich, auch gesellschaftlich. Die Diagnose sollte nicht dazu führen, sich aus dem Berufsleben, dem Freundeskreis oder der Familie zurückzuziehen.  

Gesundheitskompass.de: Depressionen, ein weiteres Symptom der Krankheit, führen aber genau dazu.
Prof. Groppa: Das ist richtig. Darum ist, neben der ärztlichen und psysiotherapeutischen, eine psychologische oder psychotherapeutische Begleitung wichtig. Patienten können Strategien lernen, um ihr Verhalten und ihre Emotionen zu kontrollieren, dazu zählen Entspannungsstechniken, Körperwahrnehmungsübungen und einiges mehr.

Gesundheitskompass: Gibt es Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsstoffe, die den Dopaminhaushalt ankurbeln oder den Mangel ausgleichen können?
Prof. Groppa: Nein. Allerdings ist es gut, möglichst unbelastete Lebensmittel zu essen. Es gibt Studien, die eindeutig einen Zusammenhang zwischen bestimmten, inzwischen verbotenen, Pestiziden und Parkinson nachweisen. Auch das chemische Element Mangan, das in die Nahrungskette gelangen kann, hat in größeren Mengen Einfluss auf das Auftreten von Parkinson.

Gesundheitskompass: Also sollte man vorsichtshalber, auch vorbeugend, Bioware bevorzugen?
Prof. Groppa: Genau. Studien, die das eindeutig belegen, gibt es dazu zwar nicht, aber man macht sicherlich nichts falsch, wenn man wenig belastete Lebensmittel und Materialien bevorzugt.

Gesundheitskompass: Kann man Parkinson überhaupt vorbeugen?
Prof. Groppa: Nein. Aber wenn Sie über Jahre regelmäßig Sport treiben und sich gesund und schadstoffarm ernähren, wird die Krankheit später auftreten und die die Symptome werden weniger stark sein. Ganz vermeiden lässt Parkinson sich aber nicht.

Gesundheitskompass: In Deutschland gibt es zur Zeit rund 400 000 Menschen mit Morbus Parkinson. Im Lauf des Lebens sind ein bis zwei pro 1000 Menschen betroffen, in China deutlich weniger, auf Sizilien viel mehr. Wie erklären Sie die regionalen Unterschiede?
Prof. Groppa: Das hat zum einen sicherlich genetische Ursachen, denn es besteht eine genetische Disposition für die Erkrankung. Das bedeutet, sie muss nicht ausbrechen, aber es ist wahrscheinlicher als beim Durchschnitt. Zum anderen hängt es womöglich mit Umweltfaktoren zusammen. Im ländlichen Raum ist das Risiko zu erkranken wegen dem Einsatz von Chemikalien in der Landwirtschaft größer, auch in Bergbauregionen ist es erhöht. In China, das beim Pestizidverbrauch kräftig aufholt, steigen die Zahlen übrigens an.

Gesundheitskompass: Zu den Therapien bei Parkinson zählen auch operative Eingriffe. Für wen sind sie geeignet?

Prof. Groppa: Sie können bei Fortschreiten der Erkrankung notwendig werden. Dazu zählt zum Beispiel eine Duodopa-Behandlung, bei der eine Pumpe die Medikamentengabe übernimmt, oder ein Hirnschrittmacher. Eine Beratung dazu ist in einem spezialisierten Zentrum möglich, in dem sich Patienten vorstellen sollen, wenn keine gute Einstellung der Erkrankung mit Medikamenten möglich wird. Es wird dann jeweils individuell entschieden, ob solche invasiven Therapien in Frage kommen.

Gesundheitskompass: Noch verläuft die Erkrankung chronisch. Wann rechnen Sie mit einer Therapie, die Parkinson heilt?

Prof. Groppa: Wir sind in den vergangenen 20 Jahren sehr weit gekommen. Die Forschung hat Wege gefunden, die Symptome zu mildern und den Verlauf zu verlangsamen, und ich bin zuversichtlich, dass wir weiterhin große Fortschritte machen werden. Sagen wir so, wenn Sie heute mit 45 erkranken, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie innerhalb der kommenden 30 Jahre geheilt werden können, durchaus gegeben.

Gesundheitskompass: Professor Groppa, vielen Dank für das Gespräch!


Thorsten Boomhuis

© PingPongParkinson Deutschland e.V. 
Thorsten Boomhuis ist Mitinitiator und Erster Vorsitzender von PingPongParkinson Deutschland e.V., gegründet 2020. Inzwischen gibt es bundesweit mehr als 40 Gruppen mit rund 820 Mitglieder. Studien bestätigen die positiven Auswirkungen des Sports auf Symptome, Verlauf und Lebensqualität.

Erfahrungsbericht

„Parkinson ist nicht ansteckend. PingPongParkinson schon.“ 

Bei der Diagnose im Februar 2013 war ich erst 38 Jahre alt, und unsere Söhne waren klein, sechs und neun. Sie haben damals gar nicht begriffen, was das heißt: Papa hat Parkinson. Meine Frau und ich haben einen Abend lang geweint, und danach ging das Leben weiter wie bisher. Sie hat halbtags gearbeitet, ich ganztags als Jurist in einem mittelständischen Betrieb nahe unserer Heimatstadt Nordhorn. In meiner Freizeit bin ich weiterhin zum Tischtennistraining gegangen. Der Sport und das Vereinsleben spielen seit meinem zehnten Lebensjahr wichtige Rollen für mich. Und heute sind sie wichtiger denn je.

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Mein Parkinson hat sich beim Tischtennistraining angekündigt, zwei Jahre vor der Diagnose 2013, das kann ich im Nachhinein so sagen. Die Leistungen aller Spieler werden mit einem Kurvendiagramm dokumentiert, so auch meine und die meines Sportkumpels. Unsere Linien verliefen über Jahre fast synchron, wir wurden beide kontinuierlich besser. Ganz plötzlich im Frühjahr 2011 begann seine Kurve, weiter nach oben zu klettern, während meine steil abfiel. Damals dachte ich, es sei ein Formtief, aber so recht erklären konnte ich es mir nicht.

2012 bekam ich Nackenschmerzen. Nach acht Massagen sind sie nicht besser geworden und mein Therapeut sagte: ,Ich bin ziemlich sicher, dass du Parkinson hast.` Meine Reaktion war: ,Und ich bin ziemlich sicher, dass du eine Macke hast.` Ein paar Wochen später haben der Neurologe und ein Radiologe seinen Verdacht bestätigt.  

Ich habe die Krankheit gut sechs Jahre lang ignoriert. Klar, ich habe Medikamente bekommen. Aber ich habe sie oft nach Gefühl eingenommen, wenn ich Symptome spürte, Unbeweglichkeit, Müdigkeit. Tremor zählt tritt bei mir bis heute nur selten auf.

Durchweg alle, die bei uns spielen, machen die Erfahrung, dass sich Symptome schon nach kurzer Zeit deutlich bessern. Und viele können ihre Medikation reduzieren. Inzwischen findet Tischtennis bei fast ausnahmslos allen Parkinsonexperten Anerkennung. Der Sport ist sogar in der Parkinsonkomplextherpie im Einsatz, zum Beispiel an der Klinik in Osnabrück, wo ich behandelt werde. 

Es gibt kleinere Studien aus Japan und Schweden, die die positiven Auswirkungen wissenschaftlich belegen. Sprechen, Schreiben, Ankleiden, Aufstehen aus dem Bett, dem Auto oder einem tiefen Stuhl, Gehen und die Balance halten, alles fällt leichter. Man sabbert weniger, spricht lauter, zittert weniger. Die Mimik wird lebendiger, die Haltung aufrechter. Eine große Studie, die eine breite Öffentlichkeit erreicht, wird wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen.

PingPongParkinson ist eine weltweite Bewegung mit Spielergemeinschaften auf fast allen Kontinenten. Der Musiker Nenad Bach hat sie 2017 im Staat New York ins Leben gerufen. Er hat es Tischtennis zu verdanken, dass er nach seiner Diagnose wieder Klavier und Gitarre spielen kann. Er will erreichen, dass möglichst viele Menschen vergleichbare Erfolge erzielen.

Als ich davon hörte, dachte ich, na, dann probier´ ich es halt auch mal und begann mit einer Gruppe. PingPongParkinson gibt es in Deutschland seit 2020. Wir haben heute mehr als 820 Mitglieder in über 100 Stützpunkten in Tischtennisvereinen in fast allen Bundesländern. Leider werden wir nicht als Selbsthilfeorganisation anerkannt. Die bürokratische Begründung ist, vereinfacht gesagt, dass wir zu viel Sport treiben.

Wir beziehen keine Selbsthilfeförderung. Mit dem Mitgliedsbeitrag von zwölf Euro pro Jahr und Person kommen wir nicht weit. Wir sind auf Spenden und Sponsoren angewiesen, auch aus der Pharmaindustrie. Zum Beispiel hat uns das Wiesbadener BioPharma-Unternehmen AbbVie bei unserer letzten Weltmeisterschaft in Pula maßgeblich unterstützt.

Ja, wir treiben viel Sport und nehmen ihn auch Ernst. Gerade das zählt zu unseren Stärken. Das fangt damit an, dass der 45jährige Familienvater aus dem Haus geht und nicht sagen muss: ,Ich geh zur Selbsthilfe.` Er sagt vielmehr: ,Ich geh zum Sport.` Das gibt ein ganz anders Gefühl. Alle unsere Mitglieder berichten, dass es ihnen auch seelisch und mental besser gehe, seit sie trainierten.

90 Prozent unserer Mitglieder sind keine Tischtennisspieler, sondern beginnen nach der Diagnose. Nicht wenige fahren mit dem Rollstuhl zur Platte. Aber wenn es los geht, stehen sie auf und vergessen ihn. Die Krankheit tritt in den Hintergrund, auch bei mir. Wenn ich mich vor einem Match steif fühle, kann ich mich darauf verlassen, dass ich nach dem Einspielen wieder normal beweglich bin. Ich brauche gefühlt nur den Schläger in die Hand zu nehmen. 

Das Geräusch des Balls auf der Platte gibt einen Takt vor, der die Koordination erleichtert. Den  Effekt nutzen viele Menschen mit Parkinson. Ein Beispiel ist das Brotschmieren, das oft schwer fällt. Es wir viel leichter, wenn man das Messer im Rhythmus eines Lieds bewegt, das man singt, zum Beispiel ,Mussi denn, muss I denn, zum Städele hinaus`.

Ein anderes Beispiel ist der Gang. Wenn ich um zehn Prozent schneller gehe als mein normales Tempo, schwingt mein Arm wieder mit, der ansonsten herunter hängt. Symptome lassen sich austricksen, indem man Gewohnheiten bricht. Dazu setzen wir Cues ein, auf Deutsch Schlüsselreize. Sie können veränderte Bewegungsabläufe und Rhythmen sein, aber auch optische Reize wie der weiße Ball, der gegen die dunkle Oberfläche prallt. 

Die meisten Neulinge im Tischtennis haben Probleme mit dem Aufschlag, den Ball hoch zu werfen und ihn in der Luft zu treffen. Lassen sie den weißen Ball jedoch erst auf den dunklen Tisch prallen, schaffen sie es mühelos, den Ball in der Luft zu treffen.

Für wen ist PingpongParkinson geeignet? Ich sage immer, für jeden, der den Weg in die Halle schafft. Während des Trainings wird die ganze Zeit gequasselt. Nur etwa ein Drittel der Gespräche dreht sich um die Krankheit. Es entstehen viele echte Freundschaften. Wir treffen einander zwei dreimal die Woche, um einander Bälle zuzuspielen, und zwar so, dass wir sie kriegen. Allein das bricht schnell das Eis. Ausnahmen sind Turniere. Da geht es darum, dass der andere den Ball möglichst nicht bekommt. Aber auch Ehrgeiz verbindet, es entsteht Teamgeist.

Tischtennis ist Therapie mit Vergnügen. Es ist unmöglich, bei uns zu spielen ohne dabei immer wieder herzhaft zu lachen. In Pula, wo im Sommer 2022 die Weltmeisterschaft ausgetragen wurde, hatten wir besonders viel Spaß, sogar noch auf dem Rückflug. Vor dem Start bat die Stewardess zwei Teamkolleginnen, den Notausgangsitz frei zu machen, weil dort gesunde, kräftige Menschen sitzen müssten, so die Vorschrift. Sie suchte sich zwei Männer in den besten Jahren aus, die erwiderten: ,Wir haben Parkinson.’ So erging es ihr vier Male, bis sie rief: ,Gibt es hier jemanden ohne Parkinson?`

Es  gibt Sicherheit, wenn Menschen mit Parkinson gemeinsam reisen. Wir alle hatten unsere Medikamente doppelt und dreifach dabei, im Handgepäck und in aufgegebenen Koffern. Man will nämlich auf keinen Fall ohne seine Medizin stranden. Es war gut zu wissen, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit Leute geben wird, die die gleichen Pillen einnehmen und einem im Notfall aushelfen könnten. Ein Tipp für Auslandsreisen, den ich Betroffenen mitgeben will, ist, niemals Medikamnte aus der Originalverpackung zu nehmen. Das erhöht das Risiko, dass sie an der Grenze konfisziert werden.

Erst seit Frühjahr 2022 nehme ich meine Medikamente regelmäßig ein. Es geht mir seither besser. Bis heue ist Parkinson bei uns zuhause kein großes Thema, und das ist gut so. Unser Ältester ist 19 Jahre alt und sehr sportlich. Es ist nicht lange her, dass ich ihn im Tennis geschlagen habe. Die Kiste Limo, um die es ging, musste er bezahlen.  

Ich bin mit PingPongParkinson Mitglied im Parkinsonnetz Osnabrück plus. Bei jedem Treffen entwickeln wir Ideen, wie wir die Versorgung von Patienten mit Parkinson verbessern können. Meine jüngster Vorschlag ist eine Notfallkarte, die bei Radiologen ausliegen sollte. Viele, wie ich auch, erhalten dort die Gewissheit. Ich musste danach 30 Kilometer mit dem Auto nach Hause fahren und mein nächster Arzttermin war sechs Wochen entfernt. Es ist leider der Normalfall, dass man in dieser entscheidenden Zeit allein gelassen wird.

Auf der Karte würde stehen, dass Parkinson kein Todesurteil ist, dass das Leben vielmehr ohne große Einschränkungen weiter geht und sogar bereichert werden kann. Dazu Adressen von Gruppen und vielleicht von Paten, erkrankten Menschen, die ihre Erfahrungen an Neulinge weiter geben wollen. So eine Karte hätte mir damals sehr geholfen.

Welche Ratschläge würde ich als Pate geben, neben, ,Spiel auf jeden Fall regelmäßig Tischtennis!`? Meine Erfahrungen sind, dass sich meine Lebensqualität noch einmal sehr verbessert hat, seit ich  Medikamente regelmäßig nehme und seit ich weniger arbeite, nämlich 15 statt 50 Stunden pro Woche. Studien besagen, dass  Stress, neben Einsamkeit, der zweite große Faktor ist, der Symptome verschlechtert

Ich bin, was Stress angeht, lange nicht mehr so belastbar wie vor zehn Jahren, vor der Diagnose, und auch lange Autofahrten sind nicht mehr möglich, weil ich schnell müde werde. Aber dafür hat mir die Krankheit meine Schüchternheit genommen. Die Leute sagen mir inzwischen nach, ich sei eine Rampensau, die aus dem Stegreif ein Publikum unterhalten kann. 

Mein Leistungsdiagramm im Tischtennis zeigt aktuell, dass ich fast wieder auf dem Stand vor der Diagnose bin. Meine Kurve steigt kontinuierlich an, obwohl ich krankheitsbedingt als Rechtshänder die Spielhand wechseln musste. Ich habe nach zehn Jahren Parkinson meinen Kumpel überholt, und zwar mit links. Darauf bin ich stolz.

Adressen und weitere Informationen

PingPongParkinson Deutschland e.V. stellt Artikel, Clips und andere Informationen zu Tischtennis und Parkinson Verfügung. Außerdem Termine, eine Karte mit Gruppen in Deutschland u.v.m.
PARKINSonLINE e.V. heißt die Online-Selbsthilfegruppe, die Informationen und Chats zu Alltags- und Gesundheitsthemen und Aktivitäten vieler Art beitet, auch zu Tischtennis.
PARKOUR Magazin berichtet über Aktuelles aus Forschung und Medizin, Tipps und Ideen, die den Alltag erleichtern und über Menschen, die Mut machen. Es erscheint dreimal pro Jahr als kostenloser Download. Herausgeber ist das Wiesbadener Bio-Pharmaunternehmen AbbVie. 


Frau Gauch und Frau Hirschwald

© privat (2)
Mirjam Gauch (li) ist staatlich anerkannte Logopädin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Mainz und wissenschaftliche Projektmitarbeiterin der HAWK Hochschule für angewandte Wssenschaft und Kunst, Göttingen.
Julia Hirschwald, ebenfalls staatlich anerkannte Logopädin, ist Doktorandin am Trinity College Dublin und Leiterin der AG Logopädie im Parkinson Netzwerk RheinMain+, bei der auch Mirjam Gauch Mitglied ist.
 

Expertinnengespräch

„Lautstärke ist ein wichtiger Faktor“

„Ich verstehe dich leider nicht“. Den Satz bekommen Parkinsonerkrankte nicht selten zu hören. Ursache sind Funktionsstörungen des Sprech-, Stimm- und Schluckapparats: Eine leise Stimme, eine undeutliche Aussprache, reduzierte Mimik und Schluckbeschwerden verringern die Lebensqualität, das seelische Wohlbefinden und können lebensbedrohlich werden. Wie logopädische Therapien wirksam und nachhaltig gegensteuern, den Verlauf abbremsen und sogar Rückgängig machen können, erklären Mirjam Gauch und Julia Hirschwald.

Zum Interview

Gesundheitskompass für Wiesbaden: Raubt Parkinson die Kraft, laut und deutlich zu sprechen?
Julia Hirschwald: Im Verlauf der Erkrankung spielt abnehmende Muskelkraft sicherlich eine Rolle. In frühen Stadien haben Sprech- und Stimmstörungen jedoch meistens senso-neurologische Ursachen. Das bedeutet, dass Patienten ihre reduzierte Stimmlautstärke selbst meist nicht wahrnehmen. Sie hören sich vielmehr als laut und deutlich. Werden sie von ihren Gesprächspartnern dann aufgefordert, etwas lauter zu wiederholen, gelingt das auch häufig.

Gesundheitskompass: Bei der Behandlung geht es also darum, die Selbstwahrnehmung an die Fremdwahrnehmung anzugleichen?
Mirjam Gauch: Genau. Das ist eine Besonderheit der Therapie bei Patienten mit Parkinson.

Gesundheitskompass: Bei Parkinson ist ein wirksamer Ansatz LSVT LOUD, eine zertifizierte Therapie zur Behandlung von Dysarthrien und Dysphonien, so die Fachwörter für Sprech- und Stimmstörungen. LSVT LOUD legt den Fokus auf das Training der Stimmlautstärke. Warum ist sie besonders wichtig?
M.G.: Wir versuchen, den Fokus so einfach wie möglich zu halten, da bietet sich Lautstärke an. Doch durch unser körperliches, stimmliches und sprecherisches Vorbild können wir noch mehr verbessern.
J.H.: Die Wirkung von LSVT LOUD, im Praxisalltag auch kurz LSVT genannt, ist mit umfangreichen Studien nachgewiesen. Sie belegen unter anderem nachhaltige Besserungen, die bis zu zwei Jahre andauern. Das heißt nicht, dass Sprechen und Stimme danach wieder schlechter werden. Wer regelmäßig täglich übt, kann den Verlauf weiter abbremsen und zeitweise aufhalten.

Gesundheitskompass: Welche Übungen sind das?
J.H.: LSVT ist ein sehr intensives Trainingsprogram. Vier Wochen lang sehen wir Patienten viermal pro Woche, jeweils für 60 Minuten. Zusätzlich üben sie täglich zu Hause. Insgesamt werden die Stimmlautstärke, die Tonhaltedauer und die Atmung, die Intonation und der Übertrag ins Sprechen geübt.
M.G.: Tatsächlich höre ich oft, ,Sie machen noch eine Sängerin aus mir’, aber darum geht es nicht. Wenn wir zum Beispiel wiederholt ein A laut und lang tönen lassen, sollen Patienten dadurch die Tonhaltedauer und Ausdauer trainieren. Und das Gefühl für die laute Stimme soll verinnerlicht werden, damit Patienten sie im Alltag einsetzen können, ohne darüber nachdenken zu müssen.

Gesundheitskompass: Schadet es Menschen mit Parkinson denn, hin und wieder ohne logopädische Anleitung mit der Lautstärke zu spielen, einen Urschrei auszuprobieren oder lauthals zu singen?
M.G.: Leider gibt es keine Patentrezepte. Die Symptome sind vielmehr indivduell. Ich rate darum davon ab, selbst zu experimentieren. Man kann mit falsch eingesetzten Übungen nämlich auch der Stimme schaden.
J.H.: Um einen nachhaltigen Erfolg zu erzielen, ist es am besten, sich so früh wie möglich vom behandelnden Arzt zu einer Logopädin überweisen zu lassen. Je früher Patienten zu uns kommen, desto effektiver und nachhaltiger können wir helfen.

Gesundheitskompass: LSVT ist nicht die einzige Methode. Es gibt Therapien, bei denen zum Beispiel das Nachsprechen von Zungenbrechern oder Atemübungen wichtige Rollen spielen. Was halten Sie davon?
M.G.: Bestimmt haben Behandler und Patienten damit gute Erfahrungen gemacht und Erfolge erzielt. Es gibt dazu allerdings keine wissenschaftlichen Studien, die die Wirksamkeit belegen, und auch nicht darüber, wie lange die Verbesserungen anhalten.

Gesundheitskompass: Können Menschen mit Parkinson, wie Schlaganfallpatienten, auf eine spontane Besserung ihrer Dysarthrie hoffen?
J.H.: Nein, in der Regel nicht. Sind Stimme und Sprechen verändert, stellen sie sich nicht dauerhaft von allein wieder her. Für alle Symptome bei Parkinson gilt, dass sie sich zwar zeitweise verbessern oder sogar verschwinden können. Der Gesamtverlauf der Erkrankung ist jedoch degenerativ, das heißt, sie schreitet voran und ist bisher nicht aufhaltbar und heilbar.

Gesundheitskompass: Neben Dysarthrien behandeln Sie auch Dysphagien, Schluckstörungen. Wirkt sich LSVT auch darauf positiv aus?
J.H.: Ja, auch das konnte durch kleine Studien belegt werden. Es sind ja die selben Muskeln und Nerven im Hals beteiligt. Aber LSVT ist nicht die primäre Therapie, wenn jemand mit schwerwiegenden Schluckbeschwerden zu uns kommt, die durchaus lebensbedrohlich sein können.
M.G.: In solchen Fällen klären wir als erstes durch bildgebende Verfahren ab, was genau im Hals los ist. Tritt die Störung bei Flüssigkeiten auf? Bei bestimmten Nahrungsmitteln? Ab welchen Mengen? Basierend auf der Diagnostik, wählen wir die Behandlungen und Übungen entsprechend aus und passen sie individuell an.

Gesundheitskompass: Gibt es eine Übung, die generell das Schlucken erleichtert?
J.H..: Auch da gibt es keine pauschale Antwort. Vielen hilft es, das Kinn beim Schlucken in Richtung Brustbein zu senken, denn durch die Position kann es zum Beispiel leichter sein, Flüssigkeiten im Mund zu kontrollieren. Doch bei einigen ist das Manöver, das wir Chin-Tuck nennen, kontraproduktiv.
M.G.: Das ist beispielsweise bei Betroffenen der Fall, bei denen die orale Boluskontrolle, so der Fachbegriff für die Kontrolle über Nahrung oder Flüssigkeiten im Mund, intakt ist, die jedoch eher Schwierigkeiten haben, die Nahrung abzuschlucken. Das Chin Tuck-Manöver erschwert ihnen das zusätzlich.

Gesundheitskompass: Welche Dysphagie-Therapien bei Parkinson gibt es?
J.H.: Eine Methode, die das Schlucken verbessern kann, ist EMST, ein Ausatemtraining mit Hilfe eines kalibrierten Geräts. Ein weiterer viel versprechender Ansatz sind Therapien, die nicht mehr allein auf die Kräftigung der Muskeln setzen, die für das Schlucken gebraucht werden. Der Schwerpunkt liegt vielmehr auf der zeitlichen Koordination des Zusammenspiels der Muskeln und dem gezielten Einsatz von Kraft. Wir nennen das Skill Training.

M.G.: Menschen mit Dysphagie sollten möglichst im ersten Schritt eine Schluckdiagnostik mit bildgebenden Verfahren machen lassen, am besten durch Logopäden oder, falls das nicht möglich ist, durch zertifizierte Ärzte. Im zweiten Schritt folgt die individuell angepasste logopädische Therapie.

Gesundheitskompass: Sie sind beide aktiv im Parkinsonnetz RheinMain+ (gesprochen: plus). Wie profitieren Ihre Patienten davon?
J.H.: Wir tauschen Erfahrungen und Wissen mit Kollegen und Betroffenen aus, denen wir ohne das Netz nicht begegnet wären. Und wir entwickeln fachübergreifend gemeinsam Konzepte, die die Kommunikation untereinander und letztendlich die Behandlungen optimieren und die Lebensqualität verbessern. Derzeit erarbeiten wir eine Quickcard Dysphagie, ein Dokument, das die Kommunikation zwischen behandelnden Teams und sektorenübergreifend verbessert.
M.G.: Das kann man sich als Vordruck vorstellen, in den Behandler standardisiert Symptome, Beobachtungen und Therapien für jeweils einen Patienten oder Patientin eintragen. Anhand der Informationen können wir uns interdisziplinär einfacher abstimmen, zum Beispiel können der Neurologe oder die Neurologin direkt erkennen, wenn auf Grund der logopädischen Diagnostikergebnisse die Medikation angepasst werden muss.

Gesundheitskompass.de: Die Quickcard macht die individuelle Therapie effektiver?
M.G.: Genau. Das ist das Ziel.

Gesundheitskompass: Sie sind jung. Die meisten Menschen mit Parkinson könnten ihre Eltern, Groß- und Urgroßeltern sein. Stoßen Sie auf Skepsis?
M.G.: Meine Erfahrung ist, dass gerade Menschen mit Parkinson sehr offen dafür sind, sich auf junge Behandlerinnen einzulassen. Vertrauen und die Chemie sind wichtig für den Erfolg der Therapie.
J.H.: Ich hatte einmal einen Patienten, der anfangs skeptisch reagierte. Er war in jungem Alter an Parkinson erkrankt, noch berufstätig und aktiv. Bei ihm dauerte es ein paar Therapieeinheiten, bis er aufgetaut ist. Aber danach war das Vertrauen in meine fachliche und menschliche Kompetenz vielleicht sogar größer als normal. Wir haben uns jedenfalls sehr gut verstanden.

Gesundheitskompass: Welche Fähigkeiten erfordert Ihr Beruf, neben Fachwissen?
J.H.: Empathie, Geduld, aufrichtiges Interesse an Menschen.
M.G.: Psychologie und Kommunikation sind Bestandteile unserer Ausbildung. Es kann sehr beängstigend und frustrierend sein, die Stimme zu verlieren oder damit zu leben, dass einem ständig Speichel aus dem Mund läuft und man sich regelmäßig verschluckt. Logopäden brauchen Feingefühl, eine positive Grundhaltung und die Fähigkeit, Lob auszusprechen, das motiviert und Selbstvertrauen gibt.
J.H.: Wichtig ist auch, unsere Grenzen zu kennen, zu wissen, wann Patienten sich an Therapeuten anderer Fachrichtungen oder Ärzte wenden sollten. Und Sätze und Gespräche, die wir beim LSVT einüben, können sehr persönlich sein. Auch seelisch und emotional müssen wir auf einen professionellen Abstand achten.

Gesundheitskompass: Sollte man die Therapeutin also auch nach Sympathie auswählen?
M.G.: Hat man die Wahl bei gleicher Qualifikation, dann ja, unbedingt!
J.H.: Die Behandlung soll ja auch Spaß machen. Das wird schwierig, wenn man die Behandlerin nicht mag.

Gesundheitskompass: Welche Momente in ihrem Berufsalltag erleben Sie als besonders erfüllend?
M.G.: Wenn ich Sätze höre wie: ,Ich kann wieder telefonieren.’ Oder neulich hat ein Patient erzählt, dass er sich seit langem wieder getraut hat, sich in der Gruppentherapie am Gespräch zu beteiligen. Es ist sehr bewegend mitzukriegen, dass sich die Behandlung positiv auf die Lebensqualität auswirkt.
J.H.: Und es ist so schade, dass es noch immer viele Menschen mit Parkinson gibt, die keine logopädische Behandlung in Anspruch nehmen. Neulich im Restaurant saßen zwei ältere Herren neben mir. Einer von ihnen hatte vermutlich Parkinson. Wir kamen ins Gespräch, doch leider konnte ich ihn nicht verstehen. Aus Höflichkeit habe ich nach Gefühl geantwortet. Aber wahrscheinlich haben wir aneinander vorbeigeredet. Das ist sehr schade und auch frustrierend. Das kann Logopädie ändern.
M.G.: Sie verbessert nicht nur das Sprech- und Schluckvermögen. Sie hilft, verstanden zu werden, sich selbst und anderen Gehör zu verschaffen und sich nicht einsam zu fühlen.

Gesundheitskompass: Sehr geehrte Frau Gauch, sehr geehrte Frau Hirschwald, vielen Dank für das Gespräch!


Adressen und weitere Informationen

LSVT LOUD wurde 1987 von den Sprachtherapeutinnen Dr. Lorraine Ramig und Carolyn Mead Bonitati an der Universität Colorado entwickelt. Benannt ist die intensive Therapie, die den Fokus auf Lautstärke legt, nach Lee Silverman, der ersten damit behandelten Patientin. Informationen, Videos und Erfahrungsberichte bietet LSVT Global.

Über LSVT LOUD und weitere nicht medikamentöse Therapien informiert die Hilde-Ulrichs-Stiftung.

Einen Überblick über Therapien insgesammt, aktuelle Entwicklungen und Adressen von Therapeuten finden Experten, Betroffene und Angehörige u.a. beim
+ Deutschen Bundesverband für Logopädie e.V. (dbl)
+ Verband Deutscher Logopäden und Sprachtherapeutischer Berufe e.V. (vdls)
+ Deutschen Bundesverband für akademische Sprachtherapie und Logopädie e.V. (dbs)

Schluckbeschwerden – Anlaufstellen im Raum Wiesbaden
+ Schluckzentrum Wiesbaden der Helios Dr Horst Schmidt Kliniken Wiesbaden
+ Otto-Fricke-Krankenhaus, Zentrum für Geriatrie und Orthopädie, mit Standorten in Wiesbaden und Bad Schwalbach.
+ Das Universitätsklinikum Frankfurt bietet an seiner Klinik für Hals-, Nasen, Ohrenheilkunde eine Schlucksprechstunde und an seiner Klinik für Neurologie eine Schluckambulanz.

Informationen zur Schlucktherapie EMST.


Frau Heinze

© privat
Stephanie Heinze, 53, Vorstandsvorsitzende der Hilde-Ulrichs-Stiftung für Parkinsonforschung, lebt seit mehr als 15 Jahren mit Parkinson – bis heute aktiv und glücklich.

Erfahrungsbericht

„Alles wird anders, einiges auch besser“

„2006 stand ich mitten im Leben und arbeitete erfolgreich in einem internationalen Telekommunikationskonzern. In meiner Freizeit war ich sportlich aktiv, und mein Mann und ich machten Wanderreisen in der ganzen Welt. In Patagonien bemerkte ich zum ersten Mal, dass sich mein Gang veränderte. Das Knie drückte sich nach hinten weg. Ich konnte die Bewegung nicht kontrollieren. Gefühlt Tag für Tag wurde sie spürbarer und sichtbarer. Von Freunden bekam ich immer öfter zu hören: ,Du gehst irgendwie komisch`.

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Als erstes machte ich einen Termin beim Orthopäden. Er schickte mich zum Neurologen, der mich auf MS, Gehirntumor und Parkinson untersuchte, aber keine Hinweise fand. Drei, vier weitere Neurologen suchte ich auf. Von jedem erhielt ich einen unspezifischen Befund. Einer lautete: Burnout. Ich bekam ein Rezept für zehn Sitzungen bei einer Psychologin. Nach wenigen Wochen sagte sie: ,Wir können unsere Gespräche gern fortsetzten, aber an ihrer Bewegungsstörung wird das nichts ändern.

Sie empfahl mir, einen Termin in der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Frankfurt am Main zu vereinbaren, einer der ersten Adressen für neurologische Erkrankungen in Deutschland. Der leitende Oberarzt ließ mich als erstes auf dem Flur auf- und abgehen. Allein an meinem Gangmuster erkannte er, dass ich Parkinson hatte. Eine DAT-Scan-Untersuchung erhärtete die Diagnose.

Das war 2008, kurz vor meinem 40sten Geburtstag. Ich war dabei, meine Party zu planen. Ich war mir so sicher gewesen, dass ich kein Parkinson hatte, sondern etwas, das man heilen konnte. Damals glaubte ich nämlich, Parkinson wäre eine alte-Leute-Krankheit, und zwei Jahre lang hatten Experten diesen Irrglauben mehr oder weniger bestätigt. Heute weiß ich, dass jeder zehnte Patient* jünger als 40 Jahre ist, wenn er die Diagnose erhält. Mich traf meine heftig und völlig unvorbereitet. Parkinson war für mich der Weltuntergang, und ich wusste so gut wie nichts darüber.

Der Arzt nahm sich Zeit, mir zu erklären, was die Krankheit bedeutet. Sie sei kein Todesurteil, und ebenso wenig bewirke sie, dass das Leben, wie es war, enden müsse: ,Machen Sie weiter, bleiben Sie aktiv und lebensbejahend, auch im Beruf.` Damals haben mich seine Worte zwar nicht trösten können, aber im Nachhinein bin ich ihm sehr dankbar dafür. Sie haben den Weg skizziert, den ich bis heute gehe.

Der Arzt riet mir auch, offen mit der Erkrankung umzugehen. Das habe ich getan. Offenheit entspricht meiner Art und ist sicher nicht für jeden Betroffenen das Richtige. Ich habe auch nicht nur gute Erfahrungen damit gemacht. Einige Freunde und Kollegen reagierten betreten, andere regelrecht entsetzt: ,Was, du hast Parkinson, in deinem Alter, das ist ja schrecklich!` Heftige Reaktionen wie diese verunsicherten mich und machten mir Angst. Es war wie bei einem Kind, das stürzt, und erst anfängt zu weinen, weil es sieht, dass die Eltern erschrocken gucken.

Eine bis dahin gute Freundin hat sich zurückgezogen. Wie ich damals auch, war sie über Parkinson nicht aufgeklärt. Sie befürchtete, dass man bald nichts mehr mit mir unternehmen können würde, und dass ich in absehbarer Zeit ein Pflegefall wäre. Sie war Ende 30 und wollte und konnte damit nicht belastet sein. Dafür hatte ich Verständnis.

Letztlich war es ihre und auch meine Unwissenheit, die unsere Freundschaft kostete. Sie und ich, wir sind kein Einzelfall. Darum ist es wichtig, dass auch junge Menschen über Parkinson aufgeklärt werden. Es sollte allgemein bekannt sein, dass es gerade bei Jungerkrankten die Regel ist, weiterhin über sehr lange Zeit glücklich und aktiv zu leben.

Nach der Diagnose habe ich sechs Jahre lang normal weiter gearbeitet. Eine Bewegungsstörung bedeutet nämlich nicht, dass man geistig weniger leistungsfähig oder weniger durchsetzungsstark ist. Allerdings bemerkte ich irgendwann, dass ich nicht mehr so stressresistent bin. Mein Körper verlangte häufiger als früher nach Ruhepausen. Als die Firma verkauft wurde, habe ich die Chance ergriffen und bin aus dem Job ausgestiegen.

Den Gründer der privaten, gemeinnützigen Hilde-Ulrichs-Stiftung für Parkinsonforschung hatte ich nach meiner Diagnose kennengelernt. Die Stiftung fördert wissenschaftliche Studien und ist eine Anlaufstelle für Betroffene und Angehörige. Sie erhalten eine unabhängige Beratung, detaillierte Informationen und auch Erfahrungsberichte. Er bot mir an, die Leitung der Stiftung zu übernehmen.

Um mich für die Aufgabe vorzubereiten, absolvierte ich ein Studium an der Fundraising Akademie in Frankfurt zur Stiftungsmanagerin. Seit nunmehr sieben Jahren arbeite ich erfolgreich daran, die Stiftung bekannter zu machen und ihre Ziele umzusetzen. 2020 wurde ich mit dem Bürgerpreis der Stadt Frankfurt am Main in der Paulskirche für mein ehrenamtliches Engagement gewürdigt. Darüber bin ich sehr glücklich.

Heute, nach 15 Jahren mit Parkinson, lebe ich vielleicht sogar engagierter, bewusster, positiver und auf jeden Fall dankbarer als vorher. Mir ist klar, dass ich im Vergleich mit anderen Betroffenen beruflich wie privat großes Glück habe. Mit meinem Mann war ich zum Zeitpunkt der Diagnose drei Jahre verheiratet. Er hat sofort gesagt: Das ziehen wir zusammen durch. Es hat uns eng zusammengeschweißt, dass er damals ohne zu zögern bedingungslos hinter mir stand. Das macht er bis heute, an guten und weniger guten Tagen.

Die Krankheit betrifft auch meinen Mann. Daher ist es wichtig, dass wir ehrlich über unsere Gefühle sprechen, auch über unsere Ängste: Parkinson ist unheilbar und unberechenbar. Die Symptome können sich jederzeit rapide verschlechtern.

Aber ich sage mir dann immer, dass Angst kein guter Ratgeber ist. Ich will nicht durchs Leben gehen und mich dabei vor der Zukunft fürchten. Ich lasse nicht zu, der Krankheit allzu viel Raum zu geben. Ich bin viel, viel mehr als Parkinson! Es gibt Wichtigeres und Schöneres in meinem Leben, und dafür will ich Platz schaffen!

Parkinson hat natürlich meinen Alltag verändert. Mein Tagesrhythmus ist auf die Medikamente abgestimmt. Nach der Einnahme muss ich zum Beispiel eine gewisse Zeit mit der Mahlzeit warten, und auch was ich essen darf, ist eingeschränkt. Manchmal bin ich dadurch gezwungen, Einladungen und andere Termine kurzfristig zu verschieben.

Ich bin seit Jahren medikamentös stabil eingestellt. Welche Arzneien wann und wie einzunehmen sind, ist sehr komplex und individuell unterschiedlich. Einige Betroffene nehmen fünf, andere 15 und mehr Arzneien pro Tag oder sie müssen nachts den Wecker stellen.

Bei mir ist es so, dass ich durchschlafen kann. Aber, wie fast alle, muss ich feste Zeit einhalten. Reisen durch Zeitzonen, die mein Mann und ich früher oft gemacht haben, sind dadurch kompliziert geworden. Gleich nach der Diagnose flog ich jedes Jahr nach Sri Lanka für eine Ayurveda-Kur. Meine Symptome haben sich danach jedesmal verbessert. Doch Langstreckenflüge erfordern Einiges an Planung, allein wegen des Umsteigens mitten in der Nacht. Man muss unter anderem daran denken, einen Rollstuhl ans Gate bringen zu lassen, da es sein kann, dass man ausgerechnet zur Ankunftszeit nicht in der Lage ist, sich zu bewegen.

Was viele nicht wissen: Die allermeisten Parkinsonmedikamente wirken unmittelbar. Kurz nach dem Einnehmen kann ich mich gut bewegen. Doch nehme ich die Arzneien auch nur eine halbe Stunde zu spät, lässt die Koordination nach und die Muskeln verkrampfen. In einem gewissen Maß kann ich das ausgleichen. Wenn ich zum Beispiel bemerke, dass mein Bein langsamer nachkommt, hilft es mir, ein paar Schritte rückwärts zu laufen, kurz in Trab zu verfallen oder zu hüpfen. Das veränderte Bewegungsmuster bewirkt eine Art Reset-Programm für den Bewegungsapparat, aber leider nur kurzfristig.

Die Reise nach Australien, von der wir früher geträumt haben, ist mir mit Parkinson nicht mehr möglich, die Strapazen wären zu groß. Mein Mann und ich haben aber nicht das Gefühl, dadurch etwas zu verpassen. Wir genießen es, zusammen aktiv zu sein, in der Region zu wandern, gemeinsam zu kochen, im Garten zu sitzen, zu reden und uns über unser Leben zu freuen!

Auch mein Sportprogramm nimmt viel Raum ein. Ich mache jeden Tag Nordic Walking im Wald, ich fahre Rad und spiele hin und wieder Tischtennis. Mittlerweile belegen diverse Studien, dass Bewegung den Verlauf der Krankheit deutlich verlangsamt.

2018, im zehnten Jahr nach meiner Diagnose, bin ich mit einer Freundin 560 Kilometer auf dem Jakobsweg gewandert, 28 Tage lang, von früh morgens bis abends, bei Hitze und Regen. Es war eine großartige Erfahrung, ein so hoch gestecktes Ziel erreichen zu können – und dabei 20 000 Euro Spenden für die Parkinsonforschung sammeln zu können.

Die Wanderung hat mich körperlich und emotional an meine Grenzen gebracht. Während des Gehens gibt es keine anderen Anforderungen, man ist Stunde um Stunde bei sich, bei seinen Bewegungen, Gedanken und Gefühlen. Das Pilgern hat mich dazu gebracht, inne zu halten, und es hat mich näher zu mir selbst geführt, sowohl körperlich als auch emotional.

Der Jakobsweg hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, mich auch einmal ausschließlich mit mir selbst zu beschäftigen und herauszufinden, was mir wirklich gut tut und wie ich mich wirklich fühle. Ich habe bisher keine psychologische Begleitung, wie viele andere Betroffene. Aber ich nutze Entspannungstechniken, Atem- und Meditationsübungen, um mich auszubalancieren.

Ich glaube, es ist wichtig, mit Parkinson Frieden zu schließen, um gut damit zu leben. Das ist ein Prozess. Neben meiner Aufgabe als Vorstandsvorsitzende der Hilde-Ulrichs-Stiftung, leite ich die Arbeitsgruppe Junge Patienten im Team mit fünf weiteren Jungerkrankten beim Parkinsonnetz RheinMain+ (siehe unter: "Weitere Anlaufstellen). Unter anderem wollen wir vermitteln, dass jeder seinen eigenen Weg mit Parkinson finden und gehen muss. Und dass jeder Weg die Chance birgt, Träume und Ziele zu verwirklichen und ein glückliches und aktives Leben zu führen."


Frau Hentschel

© Franziska Kaus
Claudia Hentschel ist unter anderem Coachin, Gedächtnistrainerin, Bewegungstherapeutin, Heilpraktikerin und Inhaberin des Wiesbadener Open Mind Institut Synapse.

Erfahrungsbericht

„Körperliche Beweglichkeit beginnt im Kopf“ 

Normalerweise gibt Claudia Hentschel Hilfestellungen beim Aufstieg auf der Karriereleiter und beim Erreichen persönlicher Ziele. In ihrem Tanz-Workshop „Flow“ profitieren erstmals Parkinsonpatienten, ihre Angehörigen und Freunde von bewährten Techniken, die mentale und körperliche Blockaden beseitigen und Grenzen erweitern können – und Spaß machen.

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Ballen Sie beide Hände zu Fäusten und strecken Sie die Arme nach vorn aus. Halten Sie den Daumen der linken Hand nach oben zum Okay-Zeichen und strecken Sie den Zeigefinger der rechten Hand aus, als würden Sie auf etwas deuten. Und jetzt wechseln Sie: Die rechte Hand gibt das Okay, und die linke deutet auf einen imaginären Punkt in der Ferne. Und wieder wechseln und wieder, immer schneller, möglichst fließend.

Was kinderleicht klingt, gelingt den wenigsten Menschen auf Anhieb. Die meisten spüren vielmehr, wie sich Gehirn und Finger regelrecht verknoten und wundern sich: Wie kann es sein, dass man offensichtlich nicht in der Lage ist, simple Handbewegungen zu kontrollieren?

Seit mehr als 20 Jahren lotet Claudia Hentschel als Coachin und Bewegungstherapeutin in ihrem „Open Mind Institut Synapse“ in Wiesbaden Wechselwirkungen zwischen Kopf und Körper aus. „Alle Bewegungen werden von unserem Gehirn gesteuert, diesem dynamischen Organ, das sich ein Leben lang verändert. Ich setze Übungen ein, die das Gehirn anregen, neue Vernetzungen zu bilden, die neue Denk- und Bewegungsmuster ermöglichen“, erklärt sie. Die Kombination aus Bewegung und Musik aktiviert auf besondere Weise das Gehirn. Dazu hat sie mit BrainDance®, einer von ihr geschützte Marke, besonders wirksame Übungen entwickelt.

Auch mentale Techniken setzt Claudia Hentschel ein, zum Beispiel Life Kinetik®. „Bewegung plus Wahrnehmung plus Kognition ergibt mehr Leistung“, lautet die Kurzversion der markengeschützten Erfolgsformel. Zahlreiche Sportler, darunter Fußballtrainer Jürgen Klopp und die achtfache Biathlon-Weltmeisterin Andrea Henkel verbessern mit ihr die Koordination, stärken das körperliche und seelische Gleichgewicht und lernen und optimieren Bewegungsabläufe.

„Mit diesen Herausforderungen sind Menschen mit Parkinson tagtäglich konfrontiert“, sagt Claudia Hentschel, die sich im Rahmen ihrer Ausbildungen immer wieder auch mit Parkinson beschäftigt hat. Sie kam zu dem Ergebnis: „Wenn Sportler und Manager mit Gehirntrainingsübungen ihre körperlichen und mentalen Leistungen verbessern, dann könnten entsprechende Übungen auch Parkinson-Patienten helfen.“`

Bei ihrem Workshop „Tanzen mit Parkinson“, den sie erstmals im Rahmen des Festivals „Wiesbaden tanzt“ 2021 angeboten hat, ist neben der therapeutischen Wirkung durch Bewegung und Musik auch das Gemeinschaftserlebnis wichtig. „Ich kann nicht versprechen, dass sich Symptome durch die Teilnahme in Luft auflösen, aber ich kann garantieren, dass alle, die mitmachen, viel lachen werden und Anregungen mit nach Hause nehmen, Neues auszuprobieren und zu üben.“

Der Übungsraum liegt in der ersten Etage. Teilnehmen, so steht es in der Ankündigung, können alle, denen es gelingt, die Treppe hinauf und hinunter zu kommen, allein oder in Begleitung. „Ich wünsche mir eine bunt gemischte Gruppe, Seniorinnen und Senioren mit ihren Enkeln, junge und ältere Erkrankte mit Partnern und Freunden, Gesunde und Kranke“, sagt Claudia Hentschel. Was erwartet die Tanzschüler konkret?

Musik von Klassik bis Pop unterstützt die Lust, die Arme auszubreiten und den Raum weitläufig zu erkunden, allein, mit Partner oder in der Gruppe. Die Melodien und Rhythmen geben möglichst geschmeidige Bewegungen vor. Auch Bälle und andere Hilfsmittel kommen zum Einsatz, darunter Stühle: Viele Übungen können auch im Sitzen gemacht werden. 

„Es geht weder erstrangig um die Krankheit, noch darum, eine einstudierte Choreographie zu beherrschen. Vielmehr teilen wir die Freude an Bewegungen und Musik“, sagt Claudia Hentschel. Übungen laden zum Mitmachen ein – und zum Staunen und Lachen über unerwartete Knoten im Gehirn  – und kreative Möglichkeiten, sie zu lösen. 


Sebastian Müller spricht im Dossier Parkinson über seine Erfahrungen mit mymedaq.de

© jcomp - de.freepik.com
Sebastian Müller, 39, Software-Entwickler*, hat seit Oktober 2020 Gewissheit. Er spürt kaum körperlich Symptome. Jedoch, sagt er, die Zukunft sei ungewisser geworden. Beim Kampf gegen Ängste unterstützen ihn auch eine Gesprächsgruppe und bald eine Expertin. 
*Die Identität haben wir auf Wunsch verändert.

Erfahrungsbericht

„Es ist eine Herausforderung, mein Parkinson zu akzeptieren“ 

„Im August 2020 spürte ich erstmals das Zittern in der rechten Hand. Mehrmals täglich entwickelt sie seither für ein, zwei Stunden ein Eigenleben, auf das ich keinen Einfluss habe. Der Hausarzt vermutete einen gereizten Nerv und schickte mich zum Neurologen. Er dachte direkt an Parkinson, möglicherweise, sagte er. Meine Hoffnung hing allein an diesem kleinen Wort, aber ich fühlte mich trotzdem ziemlich sicher.

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Seit Oktober 2020 habe ich Gewissheit, doch leider nicht die, auf die ich gehofft hatte. Ich radelte zum Neurologen, um das Ergebnis des DAT-Scan zu besprechen, der Untersuchung, die den Verdacht abklären sollte. Die Praxis liegt bei mir um die Ecke, die Fahrt dauerte keine fünf Minuten. Ich war nicht besonders aufgeregt, vielleicht wie vor einem Zahnarzttermin. Man geht nicht gern hin, aber es wird schon nicht so schlimm werden. Es kann ja nicht sein in meinem Alter, dachte ich wieder einmal, während ich in die Pedale trat. Eine Stimme im Hinterkopf widersprach: Vielleicht hast du es doch? Aber sie war sehr leise.

Im Behandlungsraum saß ich dem Arzt am Schreibtisch gegenüber. Er studierte kurz die Blätter mit dem Befund, blickte auf und sagte direkt, dass er eindeutig sei: ,Leider deutet alles auf Parkinson hin.` Ich bin nicht erschrocken. Seine sachliche Art war mir sehr Recht. Er erklärte mir seinen Therapievorschlag, ich nickte dazu und hatte keine Fragen. Ich nahm Rezepte für die Medikamente entgegen und ein Blatt mit Adressen von Experten* und Anlaufstellen für weitere Meinungen und Informationen. Ich habe damals in der Praxis nicht wirklich begriffen, dass ich Parkinson hatte. Es war surreal, ein wenig vergleichbar mit einem Kinoerlebnis.

Unten auf der Straße vor der Praxis wartete meine beste Freundin. Ich hatte sie im Wartezimmer per SMS benachrichtigt: „Es ist leider Parkinson“. Sie war damals die Einzige, der ich von dem Verdacht und der Untersuchung erzählt hatte. Bis zu jenem Vormittag war ja nichts konkret gewesen, und es ist nicht meine Art, Befürchtungen im großen Kreis zu mitzuteilen. Ich war froh, dass sie besonnen und pragmatisch reagierte: ,Was für ein Mist. Aber das kriegst du hin. Wir lassen dich damit nicht allein.` Wir, damit meinte sie meinen Freundeskreis, meine Eltern und Geschwister. Ich rauchte, während wir schweigend mit den Rädern zu mir schoben. Mein Kopf war leer.

Die ersten paar Tage habe ich den Fakt möglichst verdrängt. Ich habe viel gearbeitet, denn beim Programmieren bleibt kein Raum für Grübeleien. Abends las ich alles, was ich finden konnte, über Krankheitsverläufe und Therapien, dazu Statistiken und Forschungsergebnisse. Mit meiner Freundin, die tagsüber immer mal wieder vorbei schaute, sprach ich über meine Optionen, und darüber, dass ich andere Meinungen einholen würde.

Wir tauschten Fakten und Informationen aus, die wir gesammelt hatten. Nach Stand der Forschungen deutet fast alles darauf hin, dass gerade Jungerkrankte gute Aussichten haben, relativ beschwerdearm alt zu werden. Allerdings gibt es dafür keine Garantie. Es dauerte eine gute Woche, bis Ängste einsetzten: Denn es kann auch sein, dass sich Symptome in kurzer Zeit verschlechtern. Die Krankheit ist nicht berechenbar.

Meine Freunde und meine Familie habe ich nicht aktiv benachrichtigt. Aber wenn jemand anrief, habe ich die Diagnose direkt mitgeteilt. Alle Menschen, die mir wichtig sind, wusste innerhalb von wenigen Tagen Bescheid. Und meine beste Freundin hatte Recht. Niemand hat mich allein gelassen. Alle reagierten mit Mitgefühl und Gelassenheit: ,Das kriegen wir hin. Wir sind für dich da.`

Über die Reaktion meiner Großmutter, die über 90 Jahre alt ist, konnte ich sogar Lächeln: ,Ach Quatsch, du hast kein Parkinson. Das gibt es doch gar nicht bei einem jungen gesunden Mann wie dir. Schau dich doch an!` Bei jedem Telefonat und Besuch bekomme ich das seither zu hören.

Heute, ein gutes halbes Jahr nach der Diagnose, ist mir die Krankheit nicht anzumerken. Das Zittern der Hand tritt noch auf, ist aber nicht stärker geworden, eher weniger. Die Medikamente, die der Neurologe verordnet hatte, habe ich nach wenigen Wochen, nach Rücksprache, abgesetzt. Bei mir kam es zu Nebenwirkungen, was aber nicht passieren muss. Jeder Patient reagiert anders, jeder erhält seine individuelle Therapie und macht damit ganz eigene Erfahrungen.

Ich nehme zur Zeit keine Arzneien. Stattdessen treibe ich viel Sport, und ich habe meine Ernährung umgestellt. Damit erziele ich sehr gute Ergebnisse. Zwei Stunden pro Tag fahre ich Rad, boxe oder mache Aerobic. Und ich esse fast keine Kohlenhydrate mehr, stattdessen viel Fett und Eiweiß. Auch diese sogenannte ketogene Diät nimmt viel Zeit in Anspruch, ein, zwei Stunden pro Tag verbringe ich mit Einkäufen auf Märkten und in Bioläden und mit dem Kochen. Früher bin ich immer essen gegangen oder habe etwas bestellt.

Gut vier Stunden pro Tag widme ich meiner Gesundheit. Das ist wesentlich mehr als vor der Diagnose, und es tut mir gut. Ich fühle mich körperlich fit. Wenn ich ins Grübeln gerate, helfen mir Meditationen und Atemübungen und Gespräche mit meinen Freunden. Die Krankheit schränkt mich bisher in keinem Bereich nennenswert ein. Ich spüre kleine Veränderungen. Meine Feinmotorik verschlechtert sich, meine Handschrift wird zum Beispiel ungelenker. Auch strengt mich langes Autofahren mehr an als früher, und ich werde bei der Arbeit am Rechner schneller müde.

Man könnte sagen, dass sich Parkinson bei mir bisher weniger in Form von körperlichen Beschwerden zeigt, sondern eher in Form von Befürchtungen: Wie lange werde ich noch arbeiten können? Wovon werde ich danach leben? Werde ich eine Familie gründen können? Wie lange bleibt mir, bis ich vielleicht zum Pflegefall werde? Und was dann?

In der Firma weiß bis heute niemand Bescheid. Fast seit Beginn der Corona-Krise, also vor den ersten Symptomen, arbeite ich im Homeoffice. Darum bekommt niemand mit, wann ich am Monitor, beim Arzt oder beim Sport bin, oder wie es mir geht. Und das ist gut so. Die IT-Branche, ist zwar cool und tolerant, aber auch knallhart. Ich befürchte berufliche Nachteile und werde darum solange nichts erzählen, bis Parkinson meinen Job unmöglich macht. Ich warte ab, bis ich einen Schwerbehindertenausweis habe und arbeitsrechtlich geschützt bin.

Vor kurzem habe ich eine umfangreiche Untersuchung durchführen lassen, um weitere Erkrankungen auszuschließen. Wie es aussieht, habe ich die übliche, eher langsam verlaufende Form von Parkinson. Das hat meine Sorgen erst einmal verkleinert. Was mir auch sehr geholfen hat, war der Kontakt zur Hilde-Ulrichs-Stiftung. Ich habe darüber andere Jungerkrankte kennengelernt. Einige leben seit Jahrzehnten mit der Krankheit, stehen noch immer im Beruf und haben ein erfülltes Privatleben. All das von Betroffenen direkt zu erfahren, hat mit Hoffnung gegeben.

Als nächstes plane ich einen Termin bei einer Psychotherapeutin. Ich glaube, dass es mir mit professioneller Unterstützung noch besser gelingen wird, mit Ängsten umzugehen und mein Leben mit der Krankheit zu akzeptieren. Das ist eine Herausforderung für mich. Auch meine Eltern machen sich natürlich Sorgen. Oft bin ich es, der sie beruhigt: „Guckt, es geht mir gut!“ Das stimmt, aber meine Zukunft ist ungewisser geworden. Darum versuche ich, meinen Blick auf die Gegenwart zu richten. Ich freue mich über jeden Tag, an dem ich mein normales Leben führen kann.


Adressen und Informationen

Hilfen für Betroffene und Angehörige  

Parkinsonnetzwerke

Das große Plus: Ziel der Parkinsonnetze+ ist es, die Versorgung und Lebensqualität von Menschen mit Parkinson zu verbessern. Mitglieder sind regionale Ärzte*, Apotheker, Physio- und Psychotherapeuten, Experten weiterer Medizin- und Heilberufe, Patientenorganisationen, Kliniken und forschende pharmazeutische Unternehmen wie AbbVie Deutschland.
Sie tauschen sich interdisziplinär aus, organisieren Weiterbildungen und Schulungen, entwickeln Ideen und Projekte, sowohl auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Damit fördern sie weltweit neue Ansätze für Forschungen und Therapien. Patienten und Angehörige finden auf den Sites, neben Informationen zu aktuellen Entwicklungen, unter anderem kostenlose Expertenvorträge und Adressen, die den Zugang zu Therapien und Anlaufstellen erleichtern.
Studien belegen, dass Parkinsonnetze+ nicht nur Betroffenen zugute kommen und die Forschung voran bringen, sondern auch Kosten senken und das Gesundheitssystem entlasten. AbbVie Deutschland initiiert und unterstützt Parkinsonnetze+ im ganzen Land seit 2016. 

2018 Parkinsonnetz Münsterland+ (PNM+)
2019 Parkinsonnetz Bremen+ (PNB+)
2020 Parkinsonnetz RheinMain+ (PNRM+)
2022 Parkinsonnetz RheinNeckar+ (PNRN+)
2022 Parkinsonnetz Osnabrück+ (PNO+) 

Das Parkinsonnetzwerk Deutschland gibt einen Überblick über Parkinsonnetzwerke unterschiedlicher Initiatoren in Deutschland. Das Portal stellt ihre Besonderheiten und Aktivitäten vor, bietet Informationen für Betroffene und Fachleute und unterstützt bestehende und den Aufbau neuer Parkinsonnetzwerke.

Weitere Anlaufstellen

Parkinsonverein

Die Deutsche Parkinson Vereinigung e.V. ist eine Selbsthilfevereinigung mit rund 19 000 Mitgliedern und 450 Regionalgruppen und Kontaktstellen. Betroffene, Angehörige und alle, die sich mit Morbus Parkinson auseinandersetzen wollen, finden Informationen und Hilfen. Kontakt und mehr Informationen

Parkinsonstiftungen

Die Hilde-Ulrichs-Stiftung (HUS), gegründet 1997, bietet unabhängige und individuelle Beratungen für Patienten* und Angehörige. Damit ist sie eine wichtige Anlaufstelle mit dem Hauptziel, Betroffene aufzuklären, zu ermutigen und dabei zu unterstützen, möglichst lange beweglich zu bleiben und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Die HUS fördert außerdem als einzige private Stiftung in Deutschland die Erforschung nichtmedikamentöser Behandlungsstrategien, darunter Sport- und Bewegungstherapien, die an die Erfordernisse der Erkrankung angepasst sind. Kontakt und weitere Informationen.
Die Parkinson Stiftung, gegründet von der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG), unterstützt Forschungen und bietet aktuelle Informationen. Kontakt und weitere Informationen.

Patientenportale

Abbvie Care Parkinson, die Seite des forschenden BioPharma-Unternehmens Abbvie mit Sitz in Wiesbaden, stellt u.a. kostenlose Broschüren als Download und Informationen zu Symptomen und Therapien zur Verfügung.

Pro Pflege Management klärt umfassend über die Erkrankung auf, auch über erste Anzeichen und Selbsttests, die Hinweise geben können.