Schluss mit Regeln

Hitzewallungen, Blasenschwäche, Trockenheit der Scheide, Vergesslichkeit, depressive Verstimmungen: Ein Drittel der Frauen leiden erheblich unter dem Klimakterium, den Wechseljahren. Dr. Christopher Wolf, Chefarzt der Frauenklinik an der Asklepios Paulinen Klinik in Wiesbaden, erklärt, welche Therapien zur Verfügung stehen, wie Frauen sich selbst helfen können – und welche Rolle eine positive Haltung spielt. 

*Aus Gründen des Leseflusses verwenden wir durchgehend männliche  Formen, meinen jedoch alle Geschlechter.
Lesezeit: ca. 10 Minuten

Dr. Christopher Wolf
ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und befürwortet die natürliche und familienorientierten Geburtshilfe. Seit September 2021 leitet er die Frauenklinik der Asklepios Paulinen Klinik Wiesbaden. Er hat Zusatzqualifikationen in „Ultraschall Diagnostik", „Mikroinvasiver Chirurgie“, „Urogynäkologie“ und den Schwerpunkt „Gynäkologische Onkologie“. Zu seinen weiteren Interessensgebieten zählt „plastische Beckenbodenrekonstruktion“. Er ist zudem Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften aus den Bereichen Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Weitere Informationen zur Person und zur Frauenklinik der Asklepios Paulinen Klinik Wiesbaden.

Dr. Christopher Wolf, Leiter der Frauenklinik der ©Asklepos Paulinen Klinik Wiesbaden

„Die Wechseljahre sind keine Krankheit, sondern eine Zeit des Wandels, der das Leben bereichern kann.“

Gesundheitskompass für Wiesbaden: Die meisten Frauen erleben mit Anfang 50 die letzte Regelblutung, die Menopause. Woher weiß man, dass es die letze ist?
Dr. med Christopher Wolf: Das weiß man erst im Nachhinein. Wenn man zwölf Monate danach keine Tage mehr bekommen hat, war es die Menopause. Erst dann können Frauen nicht mehr auf natürlichem Weg schwanger werden.

Gesundheitskompass: Wie lange vor der Menopause beginnen die Wechseljahre und wann enden sie?
D.C.W.: Der Prozess kann sieben, acht Jahre und länger dauern. Er beginnt mit der Prämenopause, die im Normalfall mit Anfang 40 eintritt. Es folgen die Perimenopause, also die Phase der letzen Blutung, und die Postmenopause. Beginn und Dauer der Phasen und die Art und Stärke der Beschwerden sind sehr individuell. Ein Hormonspiegel, den der Arzt macht, kann anzeigen, in welchem Stadium man sich befindet.

Gesundheitskompass: Können Sie bitte typische Anzeichen beschreiben?
D.C.W.: In der Prämenopause können sich die Zyklusdauer und die Stärke der Blutung verändern. Die Haut kann empfindlicher, das Haar dünner werden, und es kann bereits vaginale Trockenheit auftreten. In der Peri- und Postmenopause kann es dazu vermehrt zu den bekannten Beschwerden kommen.

Gesundheitskompass: Hitzewallungen, Harnweginfektionen, Trockenheit der Scheide, Vergesslichkeit, Schlafprobleme …
D.C.W.: Ja. Auch psychische Symptome können auftreten wie depressive Verstimmungen und Ängste. Wie gesagt, sowohl das Eintrittsalter als auch die Beschwerden sind sehr individuell.

Gesundheitskompass: Wovon hängen die beiden Faktoren ab?
D.C.W.: Dazu gibt es bisher keine eindeutigen Studien. Vieles deutet darauf hin, dass Gene eine Rolle spielen, ebenso kann sich der Lebensstil auswirken.

Gesundheitskompass: Wer sich viel bewegt und gesund isst, kommt später in die Wechseljahre und hat weniger Probleme?
D.C.W.: Gesunde Ernährung und Sport können sich sicherlich günstig auswirken, sind aber keine Garantie für ein spätes oder beschwerdefreies Klimakterium. Nachgewiesen ist allerdings, dass bei Raucherinnen das Klimakterium rund anderthalb Jahre früher beginnt. Ob es schwieriger verläuft, lässt sich nicht sagen, dazu gibt es keine abschließenden Studien.

Gesundheitskompass: Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Einritt der letzten und der ersten Regelblutung?
D.C.W.: Nein, mir ist keine Studie bekannt, die auf einen Zusammenhang zwischen Pubertät und Wechseljahre hindeutet.

Gesundheitskompass: Gibt es Zahlen, wie viele Frauen insgesamt stark unter Wechseljahrbeschwerden leiden?
D.C.W.: Etwa ein Drittel der Frauen bemerken nichts oder fast nichts, ein Drittel so wenig, dass sie keine ärztliche Hilfe suchen, und ein Drittel leidet erheblich. Diese Frauen sehe ich in der Praxis.

Gesundheitskompass: Welches sind häufige Probleme, mit denen sie zu ihnen kommen?
D.C.W.: Da ich auf Urogynäkologie spezialisiert bin, sehe ich viele Patientinnen mit Harn- und Dranginkontinenz, mit Harnweginfektionen, aber auch mit Hitzewallungen und vaginaler Trockenheit. Frauen mit psychischen Symptomen wie depressiven Verstimmungen und Angststörungen, die ebenfalls verbreitet sind, behandele ich eher selten. Als Gynäkologe bin ich zwar auch dafür der richtige Ansprechpartner. Viele Frauen wenden sich jedoch direkt an spezialisierte Therapeuten und Psychologen.

Gesundheitskompass: Während der rund zehnjährigen Wechseljahre werden erst Progesteron, danach Östrogen vergleichsweise rapide weniger, während die Testosteronmenge langsamer absinkt. Dieser veränderte Hormonmix ist die Ursache der vielfältigen Beschwerden. Lässt sich daraus schließen, dass sie verschwinden, wenn man den Pegel erhöht?
D.C.W.: Ja. Ersatzhormone nach dem Gießkannenprinzip zu verabreichen, war die erfolgreiche Wunderwaffe bis 2002. Damals wurde eine Studie veröffentlicht, die einen Zusammenhang zwischen bioidentischen, also künstlichen Hormonen und dem Entstehen bestimmter Krebsarten aufzeigt, darunter Brust- und Eierstockkrebs. Daraufhin hat man die Hormonersatztherapie fast vollständig verbannt.

Gesundheitskompass: Und heute erlebt sie ein Comeback? 
D.C.W.: In der Form wie damals wird sie so gut wie nicht mehr eingesetzt. Seit 2012 ist man stattdessen zu individuell angepassten, möglichst niedrig dosierten Hormonersatztherapieformen übergegangen. Dabei gilt es, die Risiken und die Stärke der Beschwerden abzuwägen.

Gesundheitskompass: Raten Sie dazu, zunächst sanfte Methoden auszuprobieren wie Meditation, Yoga, viel Bewegung, gesunde Ernährung, Psychotherapie?
D.C.W.: Sicherlich. Man muss sich klarmachen, dass die Wechseljahre keine Krankheit sind, sondern ein Wandel. Wem es gelingt, positive Aspekte zu erkennen, dem kann es allein dadurch seelisch und auch körperlich besser gehen. Man muss die Wechseljahre ganzheitlich betrachten. An diesem Punkt setzen auch die modernen Therapien an, die eine Alternative zur Hormonersatztherapie bieten.

Gesundheitskompass: Wie sehen die ganzheitlichen Therapien aus?
D.C.W.: Die erwähnten sanften Methoden und Psychotherapie werden zum Beispiel mit Phytotherapie ergänzt. Sie basiert auf Wirkstoffen von Heilkräutern wie Johanniskraut oder Traubensilberkerzen. Auch lokale Hormonanwendungen wie Vaginalsalben zeigen gute Erfolge. Diese individuell zugeschnittenen Behandlungen kommen auch für Frauen in Frage, bei denen eine Hormonersatztherapie aus medizinischen Gründen generell nicht geeignet ist, darunter Frauen, die Brust- und Eierstockkrebs hatten.

Gesundheitskompass: Einige Frauen schwören auf Phyto-Östrogene, Stoffe, die in Soja, Hülsenfrüchten, Kürbiskernen, Vollkornprodukten und anderen Lebensmitteln enthalten sind und ähnlich wie körpereigene Hormone wirken. Was halten Sie davon?
D.C.W.: Prinzipell können betroffene Frauen das versuchen. Insgesamt spricht nichts gegen entsprechende Nahrungsergänzungen und Essgewohnheiten, wenn sie zu keiner einseitigen Ernährung führen. Meiner Meinung nach wirken sich allein die Einstellung und die Überzeugung, selbst etwas beeinflussen zu können, positiv aus.

Gesundheitskompass: Theoretisch kann man bis zu einem Jahr nach der letzten Blutung schwanger werden. Man muss also auch mit Anfang 50 verhüten?
D.C.W.: Ja. Zwar wird die Wahrscheinlichkeit zu empfangen mit steigendem Alter kleiner, aber sie besteht. Meine bislang älteste Schwangere war 53 Jahre und hat ein gesundes Überraschungsbaby zur Welt gebracht. Mit entsprechenden Hormongaben können Frauen theoretisch bis ins Greisenalter schwanger werden.

Gesundheitskompass: Einige Ärzte setzen darauf, das Klimakterium gänzlich zu verhindern, indem sie mit Ersatzhormonen nicht nur Beschwerden minimieren, sondern den Pegel der fruchtbaren Jahre simulieren und erhalten.
D.C.W.: Davon halte ich nichts. Das ist, als würde man den Eintritt der Pubertät verhindern, um ein Leben lang ein Kind zu bleiben. Unsere Lebensphasen werden ja nicht allein durch unseren  Hormonstatus bestimmt. Wir alle machen eine natürliche, ganzheitliche Entwicklung durch. Sie zu unterbrechen, nimmt uns Möglichkeiten, das Leben auszuschöpfen. Außerdem lässt sich das Altern nicht aufhalten. Wir haben keine andere Wahl, als es zu akzeptieren.

Gesundheitskompass: Sind Sie froh, dass Ihnen als Mann das Klimakterium erspart bleibt?
D.C.W.: Männer erleben tatsächlich keine Wechseljahre, das ist inzwischen erwiesen. Ihr Übergang in die neue, inzwischen längste Lebensphase, das Senium, vollzieht sich ohne harten Einschnitt. Der Wandel beginnt früh, mit Anfang, Mitte 30, wenn der Testosteronspiegel beginnt abzusinken. Das unmerkliche Hinübergleiten ins Senium ohne Hitzewallungen und Stimmungsschwankungen hat vielleicht Vorteile, aber auch Nachteile.

Gesundheitskompass: Welche Nachteile?
D.C.W.: Frauen erleben mit der Menopause und den Wechseljahren einen Sprung. Er kann zwar Angst und Probleme machen, aber er ist auch eine spannende Herausforderung. Ist sie gemeistert, wird man mit einem frischen und ehrlichen Blick auf das Leben und auf sich selbst belohnt. Das ist ein Geschenk der Biologie, das Männer in der Form nicht bekommen. Für sie kann es darum schwieriger sein, in der neuen Lebensphase anzukommen und sie zu akzeptieren.

Gesundheitskompass: Und in der Folge versuchen sie häufiger als Frauen, in der alten Phase zu verharren, indem sie Sportflitzer kaufen und  jugendliche Geliebte suchen?
D.C.W.: Möglicherweise erleichtert es der Cut, das Alter im positiven Sinn anzunehmen, und vielleicht trägt er dazu bei, einige Entscheidungen nicht zu treffen, die man im Nachhinein vielleicht bereut.

Gesundheitskompass: Wie lange nach der Menopause bleiben Wechseljahrsbeschwerden bestehen?
D.C.W.: Da muss man unterscheiden. Beschwerden im eigentlichen Sinne haben Frauen meist mit Ende 50, Anfang 60 hinter sich. Aber einige Veränderungen bleiben. Die Scheide wird zum Beispiel nie mehr so feucht sein wie mit 30.

Gesundheitskompass: Das heißt, Frauen müssen damit leben, dass Sex ab 60 problematischer wird?
D.C.W.: Nein, aber er wird sich verändern. Wie, auch das ist individuell sehr verschieden. Einige Frauen brauchen vielleicht Salben und Gleitmittel, andere mehr Zeit und weniger Akrobatik. Einige Frauen sind entspannter und können Sex mehr genießen, weil die Sorge entfällt, ungewollt schwanger zu werden, oder weil sie ein besseres Selbstbild entwickelt haben.

Gesundheitskompass: Einige Frauen lassen vaginale Trockenheit mit Lasern therapieren. Was halten Sie davon?
D.C.W.: Bei der lokalen Östrogenisierung durch Laser wird die Haut in der Vagina mit mikroskopischen Verletzungen gereizt, damit sie sich erneuert. Das wirkt sehr gut. Der Effekt hält etwa sechs Monate an. Der Heilungsprozess der Haut kann jedoch nur einmal auf diese Weise angeregt werden. Die Laserbehandlung lässt sich also nicht erfolgreich wiederholen.

Gesundheitskompass: Stimmt es, dass regelmäßiger Geschlechtsverkehr eine ähnliche Wirkung hat wie die Laserbehandlung?
D.C.W.: Ja. Frauen, die regelmäßig vaginalen Sex haben, erleben seltener vaginale Trockenheit. Aber auch das ist individuell unterschiedlich und hilft nicht jeder Frau.

Gesundheitskompass: Gilt für jede Frau, dass es schwieriger wird, das Gewicht zu halten?
D.C.W.: Nein. Die Gewichtszunahme liegt nicht in erster Linie an den hormonellen Veränderungen, sondern am Grundumsatz, also dem Kalorienbedarf, der im Alter sinkt. Es ist darum nicht ungewöhnlich, dass der Appetit eher abnimmt und man hin und wieder eine Mahlzeit auslässt.

Gesundheitskompass: Sollten Frauen in und nach den Wechseljahren die Ernährung und Bewegungsgewohnheiten umstellen?
D.C.W.: Nicht generell. Wer sich vorher gesund ernährt und sich ausreichend bewegt hat, muss nichts umstellen. Alle profitieren jedoch davon, auf den Calciumhaushalt zu achten und sich vermehrt an der frischen Luft zu bewegen, damit sich Vitamin D bildet. Die Knochendichte nimmt im Alter nämlich ab und mit Calcium und Vitamin D lässt sich dem gegensteuern.

Gesundheitskompass: Sind Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll?
D.C.W.: Ich empfehle generell, sie nicht auf Verdacht, sondern nur nach Rücksprache mit dem Arzt zu verwenden.

Gesundheitskompass: Man muss sich nach den Wechseljahren mit einigen Veränderungen einfach abfinden?
D.C.W.: Ich würde eher sagen, sich anfreunden und das Beste daraus machen. Die Wechseljahre läuten den längsten Lebensabschnitt ein. Solange man gesund ist, haben Frauen wie Männer die Chance, bereichernde Erfahrungen zu machen und die Welt und sich selbst neu kennenzulernen.

Gesundheitskompass: Sehr geehrter Herr Dr. Wolf, vielen Dank für das Gespräch!

Adressen & Informationen

Frauengesundheitszentrum SIRONA e.V.
Seit mehr als 25 Jahren hilft der Wiesbadener Verein Frauen, körperlich und seelisch gesund zu werden oder zu bleiben.

Frauenärzte im Netz
Die Seite des Berufsverbands der Frauenärzte (BVF) informiert in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (GG) ausführlich über Menopause und Wechseljahre.

Frauengesundheitsportal
Die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA) stellt gut verständliche Informationen zu Verfügung.

Deutsche Menopause Gesellschaft e.V. (DMG e.V.) 
Mitglieder sind rund 3000 Experten auf dem Gebiet der gynäkologischen Endokrinologie. Der Verein bietet ein Forum für Ärzte und Patientinnen. Unter anderem finden sich auf der Site Interviews und Adressen von Selbsthilfegruppen.