Abb.: DiGA - Das Sigitale Versorgungsgesetz

App-Abbildungen: © Adobe Stock; Porträt: © privat

„DiGAs sollen Medikamente nicht erstzten, sondern ergänzen”

Das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) schreibt fest, dass gesetzlich Versicherte einen Leistungsanspruch auf digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) haben. Wir sprachen mit Vivienne Mekhzoum (Foto) vom Kompetenzzentrum für Telemedizin und E-Health Hessen (KTE Hessen ) über Möglichkeiten und Grenzen, Vorteile und Vorurteile von DiGAs.

Sie ist Master der Medizinischen Informatik und Projektmitarbeiterin beim KTE HEssen. Kooperationspartner sind die Technische Hochschule Mittelhessen (THM) und die Justus-Liebig-Universität (JLU) in Gießen. Gefördert wird KTE Hessen von der Hessischen Staatskanzlei, dem Bereich der Hessischen Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung. Mehr informationen.

Vivienne Mekhzoum (Foto) vom Kompetenzzentrum für Telemedizin und E-Health Hessen (KTE Hessen )

Gesundheitskompass für Wiesbaden: Besser schlafen, gesünder essen, fitter werden, seit Jahren sind Lifestyle-Gesundheits-Apps auf dem Markt. Was unterscheidet sie von einer DiGA-App?
Vivienne Mekhzoum: Eine digitale Gesundheitsanwendung ist vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geprüft. Dabei muss eindeutig erkennbar sein, dass sie der Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten dient und eindeutige positive Versorgungseffekte hat. Außerdem muss eine DiGA von Patient*in und Behandler*in gemeinsam genutzt werden können, etwa, um die Wirksamkeit einer Therapie zu kontrollieren und sie gemeinsam anpassen zu können.

GfW: Der Zulassungsprozess für Arzneien dauert in der Regel Jahre, wie lange dauert er bei einer DiGA?
V.M.: Für sie wurde ein sogenanntes Fast Track Verfahren entwickelt, damit die Apps schnell in die Regelversorgung kommen. Das bedeutet, dass das BfArM das Bewertungsverfahren innerhalb von drei Monaten durchgeführt haben muss.

GfW: DiGAs sind zertifizierte Medizinprodukte. Welcher Risikoklasse gehören sie an?
V.M.: Grundsätzlich sind sie unter einer geringen Risikoklasse eingestuft. Patient*innen können sie sowohl verschrieben bekommen, als auch selbst kaufen. In diesem Fall erstattet die Krankenkasse die Kosten, wenn eine entsprechende Diagnose vorliegt.

GfW: Ärztinnen, Zahnärztinnen, Heilpraktikerinnen, wer darf eine DiGA verschreiben?
V.M.: Ärzt*innen aller Fachrichtungen und Psychotherapeuten*innen können DiGAs verschreiben, die im DiGA-Verzeichnis des BfArM für gelistet sind.

GfW: Welche internetfähigen Geräte braucht man für eine DiGA?
V.M.: DiGAs gibt es sowohl als App für Smartphones und Tablets als auch als Browseranwendung für Desktop-Rechner. Teile der Anwendung funktionieren in der Regel auch offline, und natürlich gelten für beide Technologien die gleichen Qualitäts- und Sicherheitsbedingungen.

GfW: Bei Sicherheitsbedingungen meinen Sie Datensicherheit?
V.M.: Ja, neben der medizinischen Sicherheit, müssen Hersteller die Datensicherheit und natürlich auch den Datenschutz nachweisen, gemäß einer Vielzahl von geltenden Gesetzen, Verordnungen und Leitlinien.

GfW: Mehr als 30 DiGAs sind bisher auf dem Markt (Stand April 2022). Gegen welche Beschwerden werden die Anwendungen überwiegend eingesetzt?
V.M.: Derzeit ist sicherlich die Psychotherapie ein Schwerpunkt, also digitale Anwendungen, die bei Angstzuständen, Depressionen, Erschöpfungszuständen und anderen seelischen und psychosomatischen Beschwerden helfen. Auch DiGAs für Patienten mit Krebs und mit orthopädischen Beschwerden spielen bereits wichtige Rollen.  

GfW: Was sind die Grenzen einer DiGA?
V.M.: Das Vertrauensverhältnis zwischen Ärztin und Patientin ist sicherlich nicht durch digitale Angebote zu ersetzen. Persönliche Behandlungen werden weiterhin Hauptrollen spielen. DiGAs sind als Ergänzungen gedacht, die Ärzte, Patienten und das Gesundheitssystem entlasten.

GfW: Auf welche Weise entlastet eine DiGA das Gesundheitssystem?
V.M.: Arzttermine, insbesondere bei Fachärzten, liegen oftmals weit auseinander. Eine DiGA ermöglicht zusätzliche Kommunikation und dazu ein lückenloseres Überwachen einer Therapie. Außerdem erleichtern DiGAs die Dokumentation der Arztbesuche. Dadurch können zum Beispiel unnötige oder sogar bedenkliche Doppelbehandlungen vermieden werden.

​​​​​​​GfW: Letzteres ist auch ein Vorteil der ePA, der elektronischen Patientenakte. Sind ePAs und DiGAs miteinander vernetzbar?
V.M.: Derzeit noch nicht. Der Datenexport in die ePA soll bis April 2023 umgesetzt werden. Hierbei wird darauf Wert gelegt, dass Patient*innen den Prozess der Datenübermittlung zwischen ePA und DiGA selbst kontrollieren.

GfW: Familienmitglieder mit Zugang zum Gerät mit der DiGA-Anwendung können sie theoretisch mitnutzen. Birgt das Gefahren?
​​​​​​​V.M.: Es ist wie mit herkömmlichen Medikamenten. DiGAs sind nur für Patientinnen und Patienten gedacht. Es ist davon auszugehen, dass DiGAs genauso verantwortlich aufbewahrt werden, etwa auf einem passwortgesicherten Gerät, um zum Beispiel nicht in die Hände von Kindern zu geraten.

GfW: Gibt es DiGAs speziell für Kinder?
VM: Bislang nicht. Ob eine DiGA auch für Kinder geeignet ist, entscheiden Ärzt*innen oder Therapeut*innen.

​​​​​​​GfW: Einen gesetzlichen Anspruch auf DiGAs haben gesetzlich Versicherte seit Spetember 2019, und die ersten DiGAs sind seit Herbst 2020 auf dem Markt. Wie gut werden sie angenommen?
​​​​​​​VM: Für ein derart innovatives Produkt recht gut. Bis Ende September 2021 sind in Deutschland 24 000 Zugangscodes vergeben worden, 29 Prozent dieser Anwendungen für Behandlungen aus dem Gebiet der Psychotherapie. Andere Zahlen besagen, dass jeder vierte Arzt vorhat, DiGAs zu verschreiben.

​​​​​​​GfW: Neben DiGAs, spielen auch DiPAs zunehmend wichtige Rollen, digitale Pflegeanwendungen. Ist jede DiPA auch eine DiGA?
VM: Nein, aber eine DiPA kann auch eine DiGA sein. Der Normalfall ist jedoch, dass digitale Pflegeanwendungen nicht, wie digitale Gesundheitsanwendungen, von Ärztinnen und Ärzten verschrieben und von Krankenkassen bezahlt werden. Die Kosten für eine DiPA übernehmen vielmehr die Pflegekassen, wenn man einen Pflegegrad hat.
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​​​​​​​GfW: Was sagen Sie Menschen, die skeptisch auf DiGAs reagieren?
VM: Zum einen würde ich auf das Prüf- und Bewertungsverfahren des BfArM verweisen, das die medizinische und technische Sicherheit gewährt. Zum anderen steht es jeder und jedem offen, digitale Gesundheitsanwendungen zu nutzen. Sie sind zusätzliche Angebote und nicht dazu gedacht, herkömmliche Therapien oder persönliche Gespräche zu ersetzen. Ich würde Skeptikern vorschlagen, DiGAs auszuprobieren und sie nicht vorschnell abzulehnen.

​​​​​​​GfW: Frau Mekhzoum, vielen Dank für das Gespräch!


 

​​​​​Adressen & mehr Informationen 

Ein Verzeichnis aller geprüften DiGAs und Informationen zu gesetzlichen Grundlagen und zum Zulassungsverfahren finden Sie beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).
​​​​​​Die Hessische Staatskanzlei erklärt mit einem ausführlichen PDF zur Online-Veranstaltung vom Dezember 2021, wie Patient*innen DiGAs nutzen können.​​​​​​​
Die staatliche, vom Bundesministerium für Gesundheit initiierte Plattform ​​​​​​​gesund.bund beantwortet einfach verständlich Fragen zur DiGA.
​​​​​​​Das Kompetenzzentrum für Telemedizin und E-Health Hessen bietet, neben Informationen für Patient*innnen, auch Schulungen für Ärzt*innen.
​​​​Das Bundesgesundheitsministerium informiert über gesetzliche Grundlagen, Anwendungsgebiete, Technologien und die wichtige Rolle der digitalen Angebote.